Maruša Sagadin & Anna Witt |
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Maruša Sagadin & Anna Witt
Eröffnung / Opening im Palais Trauttmansdorff / at Palais Trauttmansdorff Ausstellungsdauer / Duration of the exhibition
Die Ausstellung zeigt Arbeiten der in Wien lebenden Künstlerinnen Maruša Sagadin (*1978) und Anna Witt (*1981).
Maruša Sagadin
Anna Witt
Arbeiten / works
Kurator / Curator
REVIEW of the exhibition by Sofie Mathoi The Best of the West? Wie präsentiert sich unsere Gesellschaft? Wie gehen wir mit unserem Umfeld um, den Veränderungen im urbanen öffentlichen Raum, den unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener sozialer Gruppen? Wie agieren wir untereinander? Was wird überhaupt noch wahrgenommen? Wie beeinflussen uns Medien? Der Grazer Kunstverein präsentierte von 13. Mai bis 21. Juni 2010 drei Positionen, welche sich mit Themen und Inhalten dieser Fragen auseinandersetzten, sowie Teilbereiche der eigentlichen Problematik vor Augen führten. Eine Wand im „Studio“, integriert im Eingangsbereich der GKV Räumlichkeiten, welche die Abgrenzung zu den eigentlichen Ausstellungsräumen bildet, war mit der von Bernd Krauß (*1970) selbstproduzierten Zeitung „Der Riecher“ tapeziert. Die Zeitung besteht aus ein bis zwei A4 Seiten und beinhaltet private Erlebnisse, soziale Erfahrungsberichte, Zeichnungen und Karikaturen aus der Feder des Künstlers sowie Elemente der Boulevard- und Tagespresse. In einer Art Collage zusammengestückelt, bearbeitet oder verarbeitet Krauß selektives Wissen, das uns von Printmedien vermittelt wird und mischt seinen eigenen subjektiven Standpunkt unter. Die Wand verschaffte einen Überblick über das seit 1999 regelmässig erschienene Blatt „Der Riecher“ und lud zum raumhohen Schmökern sowie Schmunzeln ein. Durch das Tapezieren verwies die Präsentationsform auf die Idee der Wandzeitungen im öffentlichen Raum. Aktuelle Ausgaben wurden für die Dauer der Ausstellung per Fax vom Künstler übermittelt und der Installation beigelegt. Die Bespielung der Haupträume des GKV fand mit Installationen der in Wien lebenden Künstlerinnen Anna Witt und Maruša Sagadin statt. Maruša Sagadin (*1978) verarbeitete ihre Beobachtungen von einem Stipendienaufenthalt in Los Angeles in ihrer raumgreifenden Installation „Everybody says Hi to Hans because Hans says Hi to everybody.“ Im Epizentrum neuester Trends entschied sich Sagadin die Strategien aufzuzeigen, denen kapitalistische Konsumwegweiser als Werkzeuge dienen. Die Interessensgebiete bilden Sport und Architektur, vermutlich aufgrund ihrer Biographie, studierte sie doch auf der TU Graz Architektur und spielte in ihrer Jugend professionell Basketball. Ebenso handelt es sich dabei um zwei Bereiche, die als Werbeträger im urbanen Raum auf die Konsumwelt verweisen. Die Künstlerin schildert ihre Beobachtungen in Form von Skulpturen, Collagen und einem Video. Zentral stehen die buntbemalten Holzskulpturen, deren Formen an die kalifornische Rodeo-, Bodybuilding-, und Basketballkultur angelehnt sind und in ihrem Stil an Elemente der Pop-Art erinnern. Sagadin arbeitete hierfür mit „Plywood-Holz“, welches im amerikanischen Raum zum Hausbau benutzt wird, im Gegenteil zu Europa. Hierzulande lautet die geläufige Bezeichnung „Pappelsperrholz“, das hauptsächlich zum Innenausbau von Campingbussen sowie als Verpackungsmaterial verwendet wird. Die dreiecksförmige Aufstellung der Skulpturen brachte eine Gliederung in die Installation. Es entstand das Gefühl sich auf einem Platz mitten im urbanen Raum von L.A. zu befinden. An der Wand angebrachte Fotos von Architekturelementen des bekannten Bonaventure Hotels wurden mit Textschablonen, deren Botschaften aus selbstgedichteten Werbeslogans bestanden, überlegt, gleich den Plakatwänden und Leuchtreklamen an Gebäudefassaden. Daneben befand sich eine Videoprojektion, deren Inhalt eine neuartige Werbemethode reflektiert, das sogenannte „Sign-Spinning“, eine Marketingevolution der menschlichen Werbetafel. Abgeleitet aus der Skate- und Surfkultur, werden junge, sportliche Menschen mit Werbeschildern ausgestattet, um diese in akrobatischer Weise um ihren Körper rotieren zu lassen. Das Ganze erinnert an kapitalistischen Breakdance und findet an Straßenkreuzungen und öffentlichen Plätzen statt. Sagadin begleitete mit der Videokamera einen Sign-Spinner, den sie mit selbstproduzierten Slogans ausstattete, die im Gegensatz zu den geläufigen Werbephrasen, auf Antikapitalistische und Sozialkritische Inhalte verweisen. Unterstrichen wurde das Video durch zusätzliche im Ausstellungsraum platzierte, selbst gefertigte und mittels Schablonen betextete, Plywood-Signs. Einen Raum weiter fand Maruša Sagadins kritische Soundinstallation zum Thema urbane Architektur Platz. Anhand des selbstkomponierten sowie eigens vorgetragenen Rapsongs „Wo bleibt unser Niveau Herr Perrault?“, gepresst auf Vinyl, hinterfragt die Künstlerin die zeitgenössische Städteplanung am Beispiel der Vienna DC Towers, geplant von Stararchitekt Dominique Perrault. Perrault fungiert neben Zaha Hadid als beliebter österreichischer „Haus- und Hofarchitekt“, der zwischen den Städten, die sich mittels architektonischen Glanzstücken zu Weltstädten erheben wollen, hin und hergereicht wird. Als Präsentationsform des Sprechgesangs diente ein selbstkonstruiertes Plattenspieler-Möbel, auf dem ein stark reduziertes Modell der Donaucity Skyline stand. In der beigelegten Plattenhülle befand sich der Text zum mitlesen, damit auch keine untergründige Anspielung akustisch verpasste wurde. Zeigte Maruša Sagadin in dieser Ausstellung die Verwertung des urbanen Raums als Werbefläche und Prestigeobjekt auf, so bilden die Arbeiten von Anna Witt ein gute Ergänzung, indem sie sich mit den Menschen, die diesen Raum nutzen beschäftigte. Anna Witt (*1981) arbeitet mit dem Medium Video, das sie allerdings hauptsächlich einsetzt um ihre Performances und Aktionen, die meist im öffentlichen Raum entstehen, zu dokumentieren bzw. zu verarbeiten. Witt konzentriert sich in ihren Arbeiten auf das Thema zwischenmenschliche Kommunikation, die sie meist durch Anweisungen gestaltet. So forderte sie für die Arbeit „16+“ ältere Passanten auf Fragen, die sie sich mit 16 Jahren stellten, auf ein Pappschild niederzuschreiben und damit vor der Kamera zu posieren. Sie vertonte diese Bilder mit den dazugehörigen Antworten von 16-jährigen Jugendlichen. Ein Generationen übergreifendes Projekt, das die Schwelle zum „Erwachsenen-Dasein“ aufzeigt. Ethnologen rappen im Video „Battle Rap“ über ihre und in der Sprache ihrer eigenen Forschungsergebnisse einer Ghettorap-Studie. Treten in einer konstruierten Sprechgesang-Schlacht gegen Rapper an, die wiederum den Forschern kontern indem sie deren Ergebnisse kommentieren. Hier findet eine Hinterfragung von objektiver Forschung versus subjektiver Erfahrung statt. Das Video „Domesticated“ zeigt, angelehnt an den „Universum“-Stil, junge Frauen in einem Aufenthaltsraum, die filmisch beobachtet werden. Aus dem Off kommentieren Stimmen das soziale Verhalten zweier Gruppen, das der „Eigenen“ sowie der „Anderen“, für den Rezipienten etwas verwirrend, da nicht ersichtlich ist von welchen Gruppen gesprochen wird. Durch bestimmte Äusserungen wird allerdings bemerkbar, dass hier der Versuch entsteht den Aspekt eines gesellschaftlichen Vergleichs zwischen Mensch und Affe zu vermitteln. Kein Novum in der Forschung aber eine gerne tabuisierte Vorstellung unserer hoch entwickelten Gesellschaft. Im Ausstellungsraum konnte die an der Decke befindliche Projektion bequem im liegen auf einer Matratze verfolgt werden. Die Arbeit „Radikal Denken“ wurde passend zum Inhalt im hintersten Fenster der GKV Räume präsentiert. Hierfür diente der Künstlerin die LugnerCity in Wien als Schauplatz und Drehort. Konsumenten erhielten die Aufgabe einen radikalen Gedanken zur Veränderung der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation zu äussern. Die gesammelten Statements laufen via Rolltext über die filmisch eingefangene Einkaufscenter-Atmosphäre. Ersichtlich war das Video nur ausserhalb der Ausstellungsfläche, somit wurde die Glasfassade in ein „Schaufenster“ verwandelt um dadurch eine Einkaufscenter Situation zu suggerieren, verstärkt durch die Passage in der sich der GKV befindet. Zusammenfassend gelang dem Kurator Soeren Grammel eine leicht verständliche, gut strukturierte Aufbereitung künstlerischer Beobachtungen und Hinterfragungen unserer heutigen Konsumgesellschaft sowie sozialer Trends und politischer, medialer Strategien, die in der westlichen Kultur entstehen.
REVIEW of the exhibition by Evelyn Schalk Funktionen radikaler Versatzstücke
Das Holz, aus dem Fassaden sind, ist Maruša Sagadins künstlerischer Werkstoff um hinter eben diese zu blicken. Die Rolle des Individuums im Auge des Betrachters wiederum sind Objekt und Subjekt der Videoinstallationen Anna Witts. Eine Ausstellung über Oberflächen in Städten und Köpfen, die diesen nur einen Raum lässt: jenen der Reflexion. Wenn Maruša Sagadin Verpackungsmaterial verwendet, tut sie das nicht, um damit bestehende Formen zu verhüllen. Ganz im Gegenteil, sie legt anhand der Materialien und der Kontexte ihres Einsatzes Entstehungsprozesse und –bedingungen offen – aber auch den Zweck und die daraus resultierenden Folgen. Öffentlichkeit und Oberflächlichkeit, Werbung und Konsum sind ebenso Sagadins Themenfelder wie Sein und Schein, medial transportierte Traumkulissen, die sich längst als kapitalistische Ideologien entpuppt haben, deren Wirkung aber ungebrochen ist und aus denen mehr Profit denn je geschlagen wird. Nähert sich Sagadin besagten Strukturen, Manipulationen und Hierarchien durch die Fokussierung der Gestaltung ihrer Räume, öffentliche wie sogenannte private, geht Anna Witt den Weg über deren ProtagonistInnen, BewohnerInnen, KonsumentInnen, kurzum, jene, die die Räume, aber eben auch Systeme tagtäglich durch ihre Präsenz – und ihr Handeln – ausmachen, aufrechterhalten oder verändern (könn(t)en). Beide bedienen sich zudem sprachlicher Analyseelemente. Sind es bei Maruša Sagadin verschriftlichte Zeichen, ihre Interaktion und (Neu)Definition durch sowie ihre/r Umgebung, die immer wieder im visuellen Mittelpunkt stehen, ist es bei Anna Witt vor allem das gesprochene Wort, das in ihren Video-Arbeiten strukturdecouvrierende Funktionen erfüllt. In der Ausstellung der beiden Künstlerinnen im Grazer Kunstverein im Mai/Juni 2010 – sämtliche der gezeigten Arbeiten sind erst 2009 und 2010 entstanden – eröffnen deren multiple Zugänge vielschichtige Einblicke und Hintergründe in und unter die Oberflächenbeschaffenheit einer durchökonomisierten Gesellschaft, die das Leben jeder/s Einzelnen bestimmt und durchdringt. Gleichzeitig wird deutlich, was das Sichtbarmachen von jenen Zusammenhängen leisten kann, die die Verhältnisse bedingen, nämlich nichts Geringeres, als das Erkennen von Bauplänen, die Entmythologisierung neoliberaler Denkmuster und damit das Wissen um Veränderbarkeit – nicht nur von (Ober)Flächen, sondern von Systemen und Verhältnissen. Radikale Beteiligung? Mit ihrer mannigfaltigen Installation Everybody says Hi to Hans because Hans says Hi to everybody macht Maruša Sagadin bereits im Titel den Zusammenhang von Ursache und Wirkung deutlich und verweist gleichzeitig auf den der Tautologie immanenten Effekt der Fortschreibung im Falle von Nicht-Reflexion. Die Künstlerin arbeitete während ihres Los Angeles-Aufenthaltes mit den Methoden des sogenannten Sign Spinnings , jener Ausprägung „personen-gestützter“ Werbeindustrie, die an die bereits in den 1920er Jahren gebräuchliche PR-Strategie anknüpft, Menschen als – und zwar buchstäblich – Werbeträger einzusetzen. Damals hängte man den dafür Angeheuerten noch Schilder mit der Firmenwerbung um und stellte sie dermaßen adjustiert auf die Straße bzw. ließ sie sich durch die Stadt bewegen, um die zugewiesene Botschaft schweigend zu verkünden. Während der Wirtschaftskrisen-Jahre waren es allerdings andere Apelle, die man an nahezu jeder Ecke auf den wandelnden Schildern lesen konnte: „Suche Arbeit“ trugen da unzählige um den Hals. Personen-gestützte Eigenwerbung, der Begriff offenbart in diesem Kontext jenen Zynismus, der ihm auch ihn jedem anderen innewohnt. Heute bedient man sich ebenfalls lebenden Werbeflächen, allerdings drückt man ihnen, man will schließlich sicher gehen, dass die Richtung stimmt, Pfeile in die Hände, auf denen Firmenlogos, PR-Slogans, Ankündigungen u. ä. prangen, Sign Spinner ist ein eigener, hipper Berufszweig, dessen VertreterInnen ihre Qualifikationen aus der Surf- und Skaterszene beziehen und sich den Stadtraum mit artistischen Skate- und Breakdance-Moves zunutze machen. An neuralgischen Punkten der Urban Spaces wird so die gewünschte Aufmerksamkeit erregt. Methoden-Reoccupation – das Board unter den Füßen und der Break auf der Matte haben den Ghetto-Nimbus längst eingebüßt bzw. eingetauscht, Identität wird durch den „richtigen“ Schriftzug auf den Klamotten oder wo auch immer gewährleistet, man kann sich’s ja leisten. Übrigens: Die erste Sign-Spinning-Firma Deutschlands wurde vor zwei Jahren von einem 16-jährigen gegründet, mit Daddys Hilfe naturgemäß. Mittlerweile darf man Marken wie BMW; Toyota aber auch Ruhr.2010 Kulturhauptstadt Europas, zu seinen Kunden rechnen. Die zeichen- und codefixierte Szene ist längst zur Zielgruppe geworden, und eignet sich selbst, bzw. die ihr entlehnten Versatzelemente wiederum bestens als Imageträger und Strategielieferant für die Akquirierung weiterer Konsumgruppen. Die Funktion von Zeichen hängt eben von ihrem Kontext ab, Sign Spinning ist der Business-Szenesport des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends. Die Künstlerin Maruša Sagadin bedient sich wiederum selbst dieser Methode, ließ ihre eigenen Statements und Messages auf Pfeile drucken, engagierte ihrerseits einen Sign Spinner und filmte diesen bei der Schilderarbeit als ihr persönlicher Werbe-Träger. Der Mensch als Projektionsfläche, als Teil und gleichzeitig Protagonist einer Konsumgesellschaft, Arbeiter und Zeichensetzer, WerteTräger… Eine der von Anna Witt gezeigten Arbeiten ist schon zu sehen, bevor man die Galerieräume überhaupt betritt. Im Schaufenster, das auf die Burggasse hinausgeht, ist ein Bildschirm platziert, über den das Video Radikal Denken flimmert. Die Künstlerin hat dafür Menschen gebeten, einen radikalen Gedanken zur Veränderung der aktuellen Situation zu formulieren. Diese rollen als Fließtext ununterbrochen auf dem Monitor ab. Der Bildhintergrund jedoch diente der Künstlerin, aber auch den von ihr Befragten, gleichzeitig als Tat-Ort: Für Radikal Denken hat sie nämlich BesucherInnen der Wiener Lugner City zum Text(en) gebracht. Konsum und Veränderung, Radikalismus und Shopping – Witt setzt bewusst auf die Durchbrechung der Ortskonnotation und –praxis, verdeutlicht dadurch den Automatismus, mit dem wir vorgegebenen Strukturen und den damit einhergehend konditionierten Verhaltensmustern folgen und diese akzeptieren und weitertragen und fordert, sozusagen hinter feindlichen Linien der räumlich manifestierten Profitmaximierung – ewig präsenter Hintergrund und Handlungsmaxime –, zum Gegendenken auf. Im Verweis auf den Slogan vom „freundlichsten Shoppingcenter Wiens“ wird das Branding dieser Marke und seines personifizierten Vertreters deutlich, die Lächerlichkeit, die den Umsatz bringt, die Gefahr ihrer gnadenlosen Kalkuliertheit und gleichzeitig das Potential, das ihre Entfunktionalisierung bieten kann. Die Video-Installation ist nur von außen sichtbar, nur durch das Schaufenster ist der Blick auf den Monitor möglich, (richtungs)gezwungene EinBlicke, Bilder, die hinter und zwischen Schaufenstern entstanden sind, gemacht und gedacht wurden und nun den/die BetrachterIn selbst zum Teil des präsentierten Systems machen bzw. dessen Partizipation vergegenwärtigen. Die Frage nach der Komplizenschaft muss sich dann jede/r selbst stellen… Sprachliche Versatzstücke Maruša Sagadin bespielt den Ausstellungsraum ebenfalls mit Schauobjekten. Sie sind aus dem Stoff, aus dem Träume und Handlungs/Lebensanleitungen gebastelt sind. Ihre Skulpturen bestehen aus sogenanntem Plywood, einer Holzsorte, die in Europa in erster Linie als Verpackungsmaterial verwendet wird, in den USA jedoch zumeist im Häuserbau zum Einsatz kommt. Kulissenhaft machen die Stücke Räume auf, die an Filmkulissen erinnern, Versatzstücke einer heilen, pastellfarbenen Welt. Doch es bietet sich auch offen der Blick hinter die Fassaden der Holzkonstruktionen, die ihre ausschließliche Selbstreferenzialität sowohl durch integrierte Textelemente als auch durch ihre Anordnung im Raum verdeutlichen. Gegenüber dem nachempfundenen Basketballkorb mit der Aufschrift des Werktitels (Everybody says Hi to Hans because Hans says Hi to everybody), die die zwingende Dominanz der Gültigkeitsanforderung für jeden, der Teil sein will und/oder muss formuliert, ist die große Shell-Installation platziert. Die Muschelform (auf water colour paper) vor blauer Wand, die auch als Logo-Zitat der Öl-Firma durchgeht, ist mit dem Satz I can’t see the wood in Hollywood good überschrieben. Und dahinter, an der Wand: Thank’s to all that came that I know and I love and thanks to all that I don’t know and don’t love. Oscar-Reden lassen grüßen… In Worte gesetzte Oberflächen, auf Menschen projiziert, alle/s und jede/r. In Sign Spinning verwies die Künstlerin auf die Projektionsfläche Mensch für einschlägige Messages, nun ist man bei der Inbesitznahme angelangt, die weder den Körper, noch den Geist, der sich in Sprache ausdrückt, davonkommen lässt, im Gegenteil. Kurzum der Mensch, nichtmal mehr das Medium, ist die Message und damit das System, das er/sie erfüllt, verkörpert, vergeistigt, fortschreibt, mit jedem Wort. Mit Worten und wie diese umgekehrt Gemeinschaften nicht nur symbolisieren sondern konstituieren, beschäftigt sich auch Anna Witt. In Battle Rap ließ sie Personen(gruppen) Rollen und sprachliches Werkzeug tauschen und damit jede/n Einzelne/n der Beteiligten mehr über die Situation seiner/ihrer Gegenüber erfahren, die man bisher zwar meinte, ins eigene Werteschema einordnen zu können, selbst in diese versetzt, jedoch Theorie, Vorstellung und Praxis wohl noch einmal neu bewertet werden konnten bzw. mussten. Ethnologen schreiben über Ghettorap. Doch was kommt dabei heraus, wenn deren Thesen selbst in Rap-Reime gefasst und als solche von den WissenschaftlerInnen vorgetragen werden, die damit wiederum in einer Rap Battle gegen die , großteils migrantischen, Jugendlichen antreten müssen, die in ihrer Reaktion die Aussagen, deren Gegenstand sie sind, kommentieren? Kunst featuring Ethnologie featuring Sprachsoziologie – Bourdieu hätte seine Freude. Was im Video auf jeden Fall zum Ausdruck kommt, ist die Verschränkung von Gesellschaftsräumen und Machtstrukturen, Hierarchien, die sich in Sprache fest- und über sie fortschreiben. Sowohl Wissenschaftler als auch Rapper wurden durch Anna Witts Kunstprojekt entobjektiviert, sie waren wechselseitig nicht mehr länger bloßer Gegenstand von Untersuchungen und Zuschreibungen, sondern traten in eine Schlacht aus Worten, die deren Funktion und Einsatz als Mittel und Werkzeuge, alias Waffen, von Machtmechanismen offenbarte. Im Einsatz sprachlicher Elemente knüpft die Ausstellung auch an einen roten Faden mit vielen Facetten der im Kunstverein vertretenen Zugänge an. So arbeiteten bereits 2009 die in Le troisième Lieu präsentierten KünstlerInnen mit Schrift, Zitaten und ihren konstituierenden diskursiven räumlichen wie gesellschaftlichen Funktionen. Inside out Wie sehr Gesellschaftsstrukturen bis in die sogenannten Privaträume wirken, verdeutlichen Sagadins Einrichtungselemente. Diese, ebenfalls aus Plywood gefertigt, wurden von der Künstlerin in Rudolf Schindlers Mackey Apartement in Los Angeles installiert und von dort (teilweise) nach Graz transferiert. Sie stellen Fragen nach Kontexten in den jeweiligen Raum, Rodeo-Elemente, aber auch das nach einer Seite hin offene Regal, dessen Bretter in eine selbst geschaffene Leere ragen, rot-weiß-flächige Schräg-Treppenkonstruktionen die verbreitet im Nichts enden, und immer wieder Worte, Buchstaben, Sprache. Rudolf Schindler, Architekt der „klassischen Moderne“, baute in erster Linie Privathäuer und Villen, er war aber auch am Programm der Case Study Houses beteiligt, Fallstudien, in denen man Möglichkeiten zum Bau einfacher, kostengünstiger Modellhäuser austarierte, um der Wohnungsnot in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg beizukommen. An dieser Stelle wird eine weitere Facette sichtbar, die mittels des – effektiven, in jedem Sinn – Rückgriffs der Künstlerin auf das Plywood-Material vergegenständlicht wird, jene der Ökonomie, die in Bezug auf Bauplanung nicht extra erwähnt werden müsste, sehr wohl jedoch tut der Hinweis auf die ihr implizite und mittels ihrer explizierte räumliche wie soziale Hierarchisierung not. Denn was heute als billige Außenfassade hochgezogen wird, repräsentiert nichts anderes, als die allgegenwärtigen sozialen Ungleichheiten und hat seine Auswirkungen auf jene, die dahinter wohnen (müssen). Oberflächen, die Auskunft geben, über den Wert von Mensch und Material… Mit Zonen, Begrenzungen und Schnittstellen von „Drinnen“ und „Draußen“ beschäftigte sich im Kunstverein bereits Luca Frei 2006 – und kam damit auch um sprachliche Konfrontationen, wie etwa jene des Kollektivs Gruppo di Parole e Immagini, und deren Zeichen-Wert nicht herum. Auch Anna Witt beschäftigt sich mit scheinbaren Innenräumen – und mit der Definition von „wir“ und „die anderen“. In einem Raum, der von der Künstlerin als „lagerartig“ und „unordentlich“ beschrieben wird, halten sich einige junge Frauen auf, die reden, schweigen, oder auch nichts tun. Auf der Tonspur ist ein Kommentar über Gruppen-Verhalten zu hören, das sich als Vergleich von Affen und Menschen interpretieren lässt. Währenddessen zeigt die Kamera nur besagten Raum, „tastet ihn ab“, so die Künstlerin über die Bewegungen der Linse. Das Video wird in einer Ecke des Kunstvereins an die Decke projiziert, Matten und Kopfhörer liegen darunter bereit, den bequemsten Blick in den gefilmten Raum hat man im Liegen. Domesticated nennt Anna Witt die Videoarbeit, die Außen und Innen sowohl räumlich als auch gruppendynamisch hinterfragt, Verhalten unter und bei Beobachtung, Kameraschwenks, die kleinste Bewegungen nachzeichnen und diese, ergo die sie vollführenden Personen – hier ausschließlich Frauen – zum öffentlichen Beurteilungs- und Bewertungsobjekt machen. Sie leuchtet beklemmend die Verflechtungen von Individuum und Gruppe aus, die ihnen zugrunde liegenden Zwänge sowie die Begrenztheit jener trügerischen Freiräume, die sich über den Rückzug ins vermeintlich Private definieren. Eines ist Anna Witts Video-Installationen allemal gemein: Der/die Rezipierende ist selbst Teil des Konzepts, das keinerlei vorgefertigte Handlungsmuster vorschreibt, jedoch Situationen schafft, die diese ganz offenbar zum Ablaufen bringen. Die Künstlerin zerstört jede Illusion von unbeteiligter Beobachtung, vom Außerhalbstehen, macht aber auch deutlich, dass die Reflexion der eigenen Position bereits einen Schritt gegen vermeintlich einzig mögliche Re/Aktionsformen darstellt. Der Wert von Zeit und Raum Text, Ton und Bild kombiniert Maruša Sagadin auch mit ihrer Installation Wo ist unser Niveau, Herr Perrault? Während der Betrachtung der schematisierten Umrisse der Wiener Donaucity in Modellholzbauweise hört der/die AusstellungsbesucherIn einen von der Künstlerin verfassten und vorgetragenen Rap, abgespielt auf einem Plattenspieler, der in eine Stehtischkonstruktion integriert wurde, aus der auch ein gebogenes, an Abzugsschächte erinnerndes, Lautsprecherrohr ragt. Damit verweist Sagadin auf die konkrete Entwicklung dieses in den 1990er Jahren begonnenen Wiener Stadtteils, sowie auf die von Dominique Perrault geplanten Vienna Towers (einer davon soll bei Fertigstellung das höchste Gebäude des Landes sein), jener Architekt, der die Pariser Nationalbibliothek ebenso plante wie Sporthallen in Berlin. Und prompt ist auch im Rap-Text vom Clash von Business und Freizeit und dessen profitablen Nutzen die Rede, vom Everything goes, wenn nur genug Geld im Spiel ist (an der für die Bauten verantwortlichen Entwicklungsgesellschaft sind alle großen Banken und Versicherungen Österreichs beteiligt), vom Auf-der-Strecke-bleiben kleiner Verweigerer und der jeweils unterschiedlichen Definition von Verbotenem und Erlaubten. Die Stadt in der Stadt, für die die Investoren das Label „Vienna DC“ zu etablieren bemüht sind, fragt nicht nach Limits, sondern huldigt der Religion des unendlichen Wachstums – und wir zielen alle Richtung noch mehr Kapital. Ach ja, Perrault wird ja trotz der funktionalen Unzulänglichkeiten u.a. seiner Bibliothekskonstruktion als Stararchitekt gehandelt. – Wo ist unser Niveau, Herr Perrault? fragt Sagadin und so manche/r BesucherIn scheint Antworten einzufordern. Gegenüber dieser Installation lehnt einer der Sign-Spinning-Pfeile in der Auslage. Nach innen hin ist darauf zu lesen: TALKING ABOUT BODYBUILDING, von draußen entziffert man: BLACK TIE FLIES HIGH. Gleich daneben läuft Anna Witts Video 16+. Auch darin geht es um Fragen und Antworten. Und um die Rolle von Zeit und Alter bei deren Formulierung. Womit beschäftigt man sich mit 16, wie erinnert man sich daran in späteren Jahren und wie beantworten nachfolgende Generationen diese Fragen? Die Künstlerin bat zum interaktiven Dialog, ließ Wiener PassantInnen die wichtigste Frage, über die sie sich ihrer Meinung nach im Alter von ca. 16 Jahren den Kopf zerbrochen hatten, auf Pappschilder schreiben und holte sie damit vor die Kamera. Gleichzeitig stellt sie diese heute 16-jährigen. Deren Versuche, sie zu beantworten sind parallel zu den mit ihren Schildern Posierenden auf dem Video zu hören. Menschen mit Pappschildern - doch im Gegensatz zu den Vorläufern und aktuellen Varianten des Sign Spinnings sind die Aufschriften hier keine verkaufsbefördernden Messages, sondern Fragen, die die jeweiligen Personen bereit waren, öffentlich als die ihren zu stellen. Dabei mag die Distanz, die sich zu jugendlicher Vehemenz einziehen lässt, ermutigend gewesen sein, diese wird jedoch durch deren Beantwortungsversuche aktuell Jugendlicher konterkariert. Auch in dieser Arbeit spielt Witt mit dem Vertauschen von vorschnell präsenten Zuschreibungen, setzt ältere Menschen ins Bild, statt sie ins Off zu rücken und gibt jungen eine Stimme, der Wert beigemessen wird. Gleichzeitig verweist sie auf die Permanenz der Fragestellungen, deren Beantwortung nie eine endgültige sein kann, um die aber, nichts desto trotz und gerade deshalb, immer wieder aufs Neue, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, gerungen werden muss.
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