Grazer Kunstverein

 

23.09. - 15.10.2006 | traurig sicher, im training (co-production steirischer Herbst)

Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!
Click image to open!

<< zurück

 

An Architektur (Berlin), Annika Eriksson (Stockholm), Lise Harlev (Kopenhagen), Tom Holert (Berlin), ifau und Jesko Fezer (Berlin), Susanne Jirkuff (Wien), Ruth Kaaserer (Wien), Dieter Kiessling (Düsseldorf), Richard Kriesche (Graz), Michaela Melian (München), Wesley Meuris (Deurne), Oliver Ressler (Wien), Antiquariat Truppe (Graz), Anna Witt (Wien), Jun Yang (Wien), Fabio Zolly (Wien), Volker Eichelmann & Roland Rust (London/Wien) .

traurig sicher, im training


koproduktion steirischer Herbst

 

Eröffnung / Opening
23. September um 12.30 Uhr / September 23 at 12.30 pm

Ausstellungsdauer / Duration of the exhibition
23. September bis 15. Oktober 2006

 

Abends schaute man Fern. Es gab diese Werbung, in der ein junger Typ mit einem Ufo, etwa 40 Jahre weiter in der Zukunft, in einem Vorgarten landet. Er klingelt an der Tür und steht sich selbst gegenüber – als alter Mann. Mit einem flausigen Morgenrock, miesen Zähnen und überhaupt ganz elendig aussehend. Anstatt sich nett zu begrüßen, beschimpft das alte Ich erstmal das junge Ich, so á la: wieso hast Du keine private Rentenversicherung abgeschlossen!? Schau wie ich aussehe! Das wirkte in der Werbung richtig egoistisch von dem jungen Mann, wo der ja sogar ein Ufo hatte. Alle waren plötzlich sehr besorgt.

Welche Rolle spielt das Leitmotiv Sicherheit für privates und öffentliches Leben? Wofür wird trainiert – und wer trainiert wen? Kann Sicherheit glücklich oder traurig machen?
Das Projekt "traurig sicher, im Training" setzt sich mit den Verlusten und Nebenwirkungen auseinander, die mit der gesellschaftlichen Produktion von Sicherheit einhergehen.
Als Ware, die produziert, verkauft und beworben wird, ist Sicherheit zum Wirtschaftsfaktor von immenser Bedeutung geworden. Das Bedürfnis nach Sicherheit bzw. seine Produktion durchdringt alle Momente gesellschaftlichen Lebens: Kommunikation, Arbeit, Liebe, Lebensentwürfe. Politiken wie der „Krieg gegen den Terror“ oder der Abbau des Sozialstaates werden genau so mit der Schaffung von Sicherheit und Stabilität gerechtfertigt, wie die alltäglich vermittelte Forderung danach, mit dem eigenen Ich permanent als einer Ressource hauszuhalten, um sich für das lebenslange Engagement in Arbeit und Familie fit und vital zu halten – Sicherheit vor Armut, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit.

Wodurch entsteht das Bedürfnis nach Sicherheit? Welche Funktion haben öffentliche und private Diskurse um Sicherheit und mögliche Bedrohungen in der alltäglichen Produktion von Realität und welche Rolle spielen sie in der Durchsetzung von politischen und ökonomischen Zielen?

Dabei ist der Faktor Sicherheit kaum zu definieren. In der dreikanaligen Videoarbeit „Arbeitswelt“ fragte die in Berlin lebende, schwedische Künstlerin Annika Eriksson rund 30 Mitarbeiter/innen der Münchener Zentrale des weltweit größten Rückversicherungskonzerns „Swiss-Re“ nach deren Konzept von Sicherheit. Von der Hausmeisterei bis in die Vorstandsetage ergaben sich dabei etwa so viele unterschiedliche Vorstellungen, wie es Befragte im Projekt gab. Selbst bei den Profis, spezialisiert auf die Produktion und den Verkauf von Sicherheit in allen Größenordnungen und Formatierungen, wurde Sicherheit als ein immaterielles Konzept sichtbar, das sich als Gegenstand ständiger Auslegung klaren Definitionen bzw. eines semantischen Konsens entzieht.

Vielleicht ist Sicherheit grade wegen dieser Undefinierbarkeit zum Leitmotiv zeitgenössischen Lebens geworden. Sicherheit ist die Hauptlegitimationsstrategie zur Durchsetzung verschiedenster aktueller Politiken auf persönlicher, nationaler und internationaler Ebene geworden. Eine allgegenwärtige gesellschaftsbildende Kategorie, Katalysator unterschiedlichster ökonomischer und sozialer Prozesse. Grade jetzt, nach den nur knapp mißlungenen Kofferbombenattentaten in Deutschland oder den geplanten Sprengungen von Flugzeugen über dem Atlantik ist erneut eine Debatte entstanden, wie weit Bürgerrechte eingeschränkt werden dürfen, um Sicherheit zu garantieren.

Diese Debatte ist komplex und kann nicht auf die Schnelle erörtert werden. Aber sicher ist, dass Sicherheit mittlerweile allumfassend als Instrument der Anpassung unterschiedlichster Individuen und Perspektiven in festgelegte Konsense dient. Sicherheit ist ein Regulator für die Definition von Normalität geworden. In der 2003 entstandenen Arbeit „Camouflage“ zeigt der in Wien lebende Künstler Jun Yang mittels Video und Letrasets, wie der 11. September in New York zu einer Kultur der Anpassung – eben der Camouflage - bestimmter Bevölkerungsgruppen, meist Angehöriger bereits zuvor Marginalisierter oder aus dem nationalamerikanischen Kontext herausfallender Individuen und Gruppen, geführt hat: zum Beispiel Muslime, die sich die Bärte abrasierten, um in der U-Bahn nicht als Mitverschworene des 11. Septembers von emotionalisierten Fahrgästen beschimpft und bedroht zu werden. Erst im September dieses Jahres gab es wieder einen spektakulären Fall, in dem 4 muslimischen Passagieren das Mitflugsrecht verweigert wurde, nachdem alle übrigen Fluggäste gedroht hatten, ihre Flüge zu stornieren.

Das Bedürfnis nach Sicherheit, das haben sowohl W.G. Sebald in seinem Roman „Austerlitz“ als auch P. Virillo mit seiner Studie zu Bunkeranlagen an der französischen Atlantikküste gezeigt, bringt eine stete Genealogie an Formen hervor - Dekors der Sicherheit. In welchen Verhältnissen stehen die Grundrisse historischer Festungen, kapitalistischer Shoppingmalls und -plazas oder die digitalen Architekturen neuster Antivirusprogrammierungen? Welche wiederkehrenden Strukturen und Muster der Durchlässigkeit und Geschlossenheit finden sich auf verschiedenen gesellschaftlichen Mikro- und Makroebenen? Auf historischen Karten des Grazer Antiquariats Truppe finden sich Formalismen der Geschichtlichkeit fortifikatorischer Aktivitäten im Städte- und Festungsbau. Die nicht maßstabsgetreu sondern übertrieben groß dargestellten Festungsgürtel historischer Städte lassen diese auf historischen Karten wie abstrakte, stern- oder kristallähnliche Gebilde erscheinen. Von den technischen Entwicklungen rasch überholt, gehören sie zum veralteten Formenvokabular sichernder Bauwerke und lassen sich als pure Formen fast wie abstrakte Kunstwerke betrachten.

In diesem Zusammenhang kann man auch das mehrteilige Projekt "Camouflage" der Künstler Volker Eichelmann und Roland Rust sehen. In dem Video "Martello Towers" dokumentieren die beiden eine Reise entlang der noch verbliebenen "Martello"-Türme an der Süd-Ost-Küste Englands, die einst der Befestigung der Küste bzw. der Früherkennung eines Angriffes von Seeseite dienten. In dem Projekt "Camouflage" interessieren sie sich für fortifikatorische Strukturen und Maßnahmen in unterschiedlichen Lebensbereichen: historisch, psychologisch, soziologisch, militärisch und subjektiv. Dabei untersuchen sie sowohl moderne Shoppingmalls, hochkontrollierte Stadträume oder eben auch - wie in Martello Towers - den historisch bedingten Wandel eines militärischen Dispositivs in ein touristisches.

Einen aktuellen Typus sichernder gebauter Strukturen stellen dagegen die Lager und Grenzen bzw. Grenzbefestigungen dar, die maßgebliches Instrument der Regulierung von Migrationsflüssen im Zusammenspiel von Grenzsicherung und Einwanderungspolitik geworden sind. Drei davon, das inzwischen aufgelöste Flüchtlingslager in Sangatte, das sogenannte “Ausreisezentrum” in Fürth und die neue EU-Ostgrenze zwischen Polen und Weissrussland, werden von dem Berliner Kollektiv An Architektur in Modellform dargestellt und dabei auf formale und funktionale Charakteristika konzentriert und analysiert. Sicherung von Territorien und nationalen Grenzen ist trotz globalisierter Wirtschaftsflüsse kein rudimentäres Phänomen der Geschichte. Vielmehr scheint es, dass weltweit beschleunigte Handelsflüsse das Ungleichgewicht zwischen Gewinnern und Verlierern in der Welt so vertieft haben, das die Definition und Sicherung von politischen und ökonomischen Grenzen aus Sicht der Privilegierten ganz besondere Wichtigkeit erlangt. Viele Ergebnisse der Recherchen von An Architektur liegen in Form ihrer unregelmäßig veröffentlichten Zeitschrift “An Architektur. Produktion und Gebrauch gebauter Umwelt” vor. Sie können sich aber auch - wie für "traurig sicher, im Training" - in Projekten und Ausstellungsbeiträgen manifestieren.

Die in Berlin lebende, dänische Künstlerin Lise Harlev stellt 4 gerahmte Siebdrucke aus, die am Computer gezeichnete und grafisch stark auf Grundlinien stilisierte Räume zeigen; es handelt sich um institutionelle Orte, Wartezimmer oder Durchgangssituationen, die Harlev entweder zuvor besucht und fotografiert oder Abbildungen entnommen hat. Die Räume sind unpersönlich und leer. Wie an solchen Orten üblich, sind an verschiedenen Stellen Hinweistexte auf Schildern, Zetteln oder aufgehängten Plakaten angebracht. Diese hat Harlev in ihren Grafiken mit eigenen Texten aufgefüllt. Dabei hat sie sich im Design der Texte teilweise an die in solchen Fällen üblichen Klischées gehalten, diese aber verändert und zugespitzt. Die Inhalte der Texte hat Harlev selber formuliert. Es handelt sich um persönliche Statements und Wahrnehmungen wie Leute Behörden und Ämter sehen und wie man sich in ihnen fühlt. Manche der Statements sind auch Gedanken dazu, wie wohl die Behörde ihre BenutzerInnen wahrnimmt. Die Texte basieren auf Erfahrungen davon, womit man als Ausländer konfrontiert ist und welche Dinge man zu regeln hat, wenn man in einem anderen Land bzw. in einer anderen Kultur lebt.

Michaela Meliáns Diainstallation „Föhrenwald“ erzählt die Geschichte der gleichnamigen Siedlung bei München. Gezeigt wird die heutige Siedlung in Zeichnungen aus weißen Linien auf schwarzem Grund. Langsam überblenden sich die im dunklen Raum schwebenden Zeichnungen der Häuser und imaginieren einen Spaziergang durch die Siedlung. Die Bilderschleife wird überlagert von einem Soundloop aus Sprache und Musik. Die Siedlung entstand im Zuge nationalsozialistischer Wohnungsbaupolitik als Mustersiedlung. Sie wurde ab 1940 als Lager für ausländische Zwangsarbeiter und dienstverpflichtete deutsche Arbeiter der nahegelegenen Munitionsfabriken benutzt. Nach Kriegsende diente der Ort mehr als zehn Jahre lang als exterritoriale Siedlung für jüdische „Displaced Persons“ – Überlebende der Vernichtungs- und Konzentrationslager, die nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren konnten. Nach Auflösung des selbstverwalteten Lagers, das als das letzte jüdische Schtettl in Europa bezeichnet wird, wurden seit 1956 schließlich kinderreiche, deutsche heimatvertriebene Familien in Föhrenwald angesiedelt. Die Arbeit der Münchner Künstlerin und Musikerin führt vor, dass sich trotz der wechselvollen Geschichte das Gesicht der Siedlung kaum verändert. Ihre Geschichte spiegelt sich am deutlichsten in den Straßennamen: Die Danziger Freiheit wird zum Independence Place und schließlich zum Kolpingplatz. Die unter nationalsozialistischer Herrschaft geplanten Gebäude bleiben im wesentlichen dieselben und repräsentieren die Ideale einer bis heute gültigen Form der Eigenheimidylle.

Susanne Jirkuffs "Shortly before the Riots started" zeigt eine wandgreifende Konstellation von Filzstiftzeichnungen, die gescannt und anschließend mit Tintenstrahldruckverfahren reproduziert wurden. Die in ihnen dargestellten Szenen und Motive wurden von der in Wien lebenden Jirkuff zuvor aus zahlreichen unterschiedlichen Artikeln zu Themen wie Gated-Communities, Suburbias und Stadtplanung gesammelt. Sie zeigen das einzelne Haus genau so wie von Architekten und Stadtplanern für bestimmte Zielgruppen angelegte Siedlungweisen. Das Haus als Zelle und Gehäuse, Befestigung und Abschottung erscheint in diesen Ensembles als Ausgangs- und Angelpunkt, von dem aus sich Kulturen des Wohnens und Städtebaus entwickeln und fortsetzen. Die baulichen Strukturen und ihre formale Anlage geben Hinweise darauf, in welchen komplexen Wechselspielen Ein- und Ausgrenzung, Abschottung und Integration, Miteinander und Nebeneinander organisiert und reguliert sind. Eine Balance die, wie der Titel der Arbeit andeuten könnte, fragil und aufgesetzt erscheint, jederzeit bedroht ist, ins Rutschen zu geraten - eine Realität, die der Befestigung bedarf. Um diese Verhältnisse drehen sich im weiteren Sinne auch die unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Zitate und Statements, die auf kleinen Zetteln zwischen die Zeichnungen gehängt sind.

Die allgegenwärtige Wahrnehmung von Gefahrenpotentialen scheint zur Grundmentalität geworden zu sein. Sie führt in allen Lebensbereichen zum Wunsch nach Absicherung. Einen Boom verzeichnet seit den 90er Jahren auch der Fitnesssektor und hier insbesondere der Kampfsportbereich. Noch nie haben so viele Menschen beider Geschlechter und aus allen möglichen gesellschaftlichen Schichten Angebote der Fitness- und Selbstverteidigungsindustrie wahrgenommen. Rein statistisch lässt sich von Seiten der Polizei dieser Selbstverteidigungsboom keineswegs rechtfertigen. Vielmehr scheint sich hinter ihm eine viele Bevölkerungsteile umklammernde Mentalität der permanenten Bedrohung symptomatisch abzuzeichnen. Der junge Vorturner einer ORF-Gymnastiksendung, Arnold Schwarzenegger, damals noch nicht sonderlich bekannt, wird später als erster Ausländer (Einwanderer) sogar zum Senator Kaliforniens. Wichtigste Hoffnung der Wähler laut Statistik: Schwarzenegger ist ein starker Mann und bringt Sicherheit in unsicheren Zeiten. Erst letztes Jahr rechtfertigte Schwarzenegger einen sehr viel höheren Überwachungsetat der Grenze zu Mexiko aufgrund seiner eigenen „Erfahrung, an einer gefährlichen Grenze aufgewachsen zu sein“ (vgl. Kriesche, im Standard, April 2005) - gemeint ist die Grenze zu Ex-Jugoslawien. Dieser Zusammenhang erscheint kaum absurd, wenn man bedenkt, dass sich der Grazer Bürgermeister Nagl 2005 in der Kleinen Zeitung gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit dem Argument ausgesprochen hat, dass Graz schon immer "ein Bollwerk gegen das osmanische Reich war"... Insofern ist die strategische Lage von Graz, dessen Name auf das slowenische Wort für "Kleine Festung" zurückgeht, tatsächlich interessant. Aber kann die Lage einer Stadt und ihre historische Entwicklung sich in soetwas wie eine kollektive Mentalität ihrer Bewohnerinnen und Bewohner einschreiben? Das läßt sich wohl kaum pauschal beantworten. Aber zurück zu Schwarzenegger: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Ausstrahlung "fit" zu sein (für was auch immer) und vom Wähler glaubwürdig gehalten zu werden, die Gesellschaft "fit" machen zu können (für was auch immer)? Paradoxerweise hat sich die Stadt Graz kürzlich mit Schwarzenegger überworfen, weil sie mit seiner Haltung zu Instrumentarien der amerikanischen Politik der inneren Sicherheit (Todesstrafe) nicht einverstanden war. Paradox, weil erstens Schwarzenegger diese Politik bislang auch nicht anders praktiziert hatte (nur vielleicht in weniger prominenten Fällen als den Kinderbücher-Schreibenden Mörder) und zweitens, weil Schwarzenegger auch in seinen Filmen kaum die Rolle des Pazifisten oder Intelektuellen verkörpert. Der in Graz lebende Dokumenta 6-Teilnehmer Richard Kriesche hat zwei unterschiedlich große Leuchtkästen für die Ausstellung angefertigt. Während der eine Kasten in der Länge fast 2 Meter misst, ist der andere nicht größer als ein Radiowecker, den man am Bett stehen hat. Beide zeigen die bekannte Benutzeroberfläche der Internet-Suchmaschine “Google”. Die eine, mit dem Suchbegriff “Arnold Schwarzenegger” weist mehr als 8 Millionen Einträge auf, die andere, mit dem Suchbegriff “Gemeinderat Graz” nur etwa 6000. Das unterschiedliche Größenverhältnis der Leuchtkästen entspricht dieser Relation der gefundenen Einträge.

Die Wahl Schwarzeneggers zum Senator von Kalifornien erlaubt auch die Frage, in wie weit Sicherheitsszenarien und Bedrohungshysterien qualitativ Ähnlichkeit mit den Bildern und Geschichten des Hollywoodkinos haben, so, dass ein Actionfilm-Schauspieler den Wählern als überzeugender Garant für Sicherheit im Alltag erscheinen kann. Beispielsweise wurden Hollywooddrehbuchautoren nach dem 11. September vom Pentagon angestellt, um sich mögliche Terrorszenarien präventiv auszumalen. Das macht Sinn, denn schon 1981 ließ der Filmemacher John Carpenter in “Escape from New York” eine Boeing, gesteuert durch Terroristen, in einen Wolkenkratzer auf Manhatten fliegen. Das Bedürfnis nach Sicherheit - ob als Handelsware eingesetzt oder als Durchsetzungsmittel aktueller Politiken - muss ständig neu „produziert“ werden. Hand in Hand mit Sicherheitsdiskursen geht also auch die Produktion der Hysterie: Angst vor Terror, Angst vorm Alt-Werden, Angst vorm Arm-Werden, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Angriffen auf die eigene Person, Angst vor Migranten, Angst vor Arbeitsunfähigkeit, Angst vorm keine-Rente-bekommen etc., etc. Die Zahl und Vielfalt von aktuellen Szenarien der Bedrohung ist kaum zu übersehen. Kino, Fernsehen, Zeitung, Werbung, Politik etc. sind Kanäle und Autoren dieser permanenten Produktion und Distribution von Szenarien der Angst – einer Ikonografie der Angst.

Szenarien der Angst bzw. der Bedrohung werden auch künstlich in Trainings hergestellt, die Geschäftsleute oder Regierungsvertreter “fit” für die Berufswelt machen sollen. Der Wiener Oliver Ressler hat Drehgenehmigung in einem solchen Ausbildungslager bekommen. Dabei ist in diesem Jahr das Dokumentations-Video “The Fittest Survive” entstanden. Es zeigt die Kursteilnehmer in verschiedenen, künstlich inszenierten Situationen, die sie mit unterschiedlichen Gefahrensituationen konfrontieren. Im Anschluß an die teilweise erschreckend realistisch anmutenden Übungen wird jeweils das Verhalten der Teilnehmer mit der Kursleitung diskutiert. Das Credo des charismatischen Kursleiters, der menschliche Körper sei eine Überlebensmaschine, die sich seit Beginn ihrer Existenz durch permanente Gefahr geschult und weiterentwickelt hat, scheint hier plötzlich auf jede nur erdenkliche Situation des menschlichen Handelns - konkret oder metaphorisch - anwendbar.

Mit der Arbeit “Diamond” zeigt Ruth Kaaserer Ergebnisse einer seit mehreren Jahren andauernden Recherche zum Boxsport. Ihr Interesse hat die Wienerin auf zahlreichen Reisen in Boxstudios und diverse Trainingscenter in den USA geführt, in denen sie sich mit Vertreterinnen – es handelt sich vorallem um Frauen, für die sich Kaaserer interessiert hat - dieser Sportart über das Boxen, den Trainingsalltag, Wettkämpfe und die ökonomische Situation der Boxerinnen unterhalten hat. Dabei sind zahlreiche Fotos und Interviews entstanden, von denen in der Ausstellung eine Auswahl in Kombination mit Objekten wie einem extra angefertigen, violetten und bedruckten Boxmantel zu einer Installation verdichtet wurden. Der Ausgangspunkt für diese Arbeit war - schon lange vor Clint Eastwoods Film "Million Dollar Baby" - die Faszination an Boxerinnen und Trainerinnen, ihren Motiven und ihrem Alltag. In Kaaserers Materialcollage begegnet man Leuten und Orten, die diesem Sport mit Hingabe gewidmet sind und die ihr Verhältnis zum Boxen offenbar durch keinen von aussen aufgesetzem Zweck legitimieren oder instrumentalisieren, wie zum Beispiel der Selbstverteidigung. Der Titel “Diamond” leitet sich von einer Äußerung der Boxerinnen ab: wie nach einem Diamanten muß man lange suchen und arbeiten, viel Gestein wegsprengen, bis man ihn findet – dann ist er da, klar und perfekt, unzerstörbar und schön.

Die Zeichnungen des belgischen Künstlers Wesley Meuris zeigen imaginierte Panoptiken der Tierbeobachtung: Aquatheater, Wildkatzenhäuser, Vogelvolieren etc. Sie wurden von Meuris detaillgenau geplant, akribisch in Bunt- und Bleistift ausgeführt und mit diversen schriftlichen Erläuterungen zu Bauform, gehaltener Tierart usw. versehen. Sie würden wahrscheinlich in der Realität perfekt funktionieren. Und dennoch sind sie so ausgeführt, als würden sie sich nicht auf einen funktionalen Nutzen allein reduzieren lassen wollen. Die Zeichnungen scheinen vielmehr Auskunft über die Art und Weise zu geben, wie die dargestellen Räume den Blick auf eine bestimmte Spezies organisieren bzw. welche Relationen sie zwischen Betrachtenden und Betrachtetem organisieren. Die Bauten gehen weit über Vorschläge zur Tierhaltung hinaus; sie repräsentieren Blickregime und führen dabei die enge Verknüpfung zwischen Erkenntnis- und Machtanspruch vor, die einen wichtigen Aspekt der abendländischen Kultur der Aufklärung ausmacht.

Die richtige Blickposition hat schon dem Feldherrn historischer Schlachten (sowie dem Maler, der diese abbildete) zur Übersicht und Kontrolle der Situation und des Gegners gedient. "Von hier oben kann man alles überblicken" sagt einer der Security-Männer in dem Beitrag "Bahn Security" von Anna Witt, die derzeit an der Akademie in Wien studiert. In ihren Performances spielt sie mit der Realität und den Ritualen der hochkontrollierten Räume des Personen Nah- und Fernverkehrs. Ausgestattet mit einem Overall, der sie zumindest auf den ersten Blick als Angestellte einer Sicherheitsfirma erscheinen läßt, bittet sie zum Beispiel Passanten am Fuße einer Rolltreppe zum Abtasten nach gefährlichen Gegenständen. Die Passanten nehmen die Autorität als glaubwürdig an und lassen sich überprüfen. Nach vollrichteter "Arbeit" bittet Anna Witt den jeweiligen Fahrgast bzw. Passanten nun, sie selber im Gegenzug abzutasten und stört dadurch das zuvor aufgebaute und angenommene Autoritätsverhältnis. In einer anderen Performance patroulliert sie mit ruhigen Bewegungen durch ein Terminal in Dublin. Von Zeit zu Zeit hasten Reisende mit Koffern zu irgendeinem entfernten Schalter vorbei. Niemand nimmt Notiz von ihr. In unregelmäßigen Abständen macht sie akrobatische Bewegungen, die denen aus Actionfilmen gleichen. Diese Bewegungen sind so ausgeführt, dass sie nie direkt vor den Passanten geschehen. Vielmehr sind sie für diese nur im Vorbei-Laufen, vielleicht grade noch aus den Augenwinkeln sichtbar, als leichte Irritationen.

Der Wiener Fabio Zolly zeigt u.a. den Ausdruck eines Röntgenstrahlbildes, wie wir es von Flughäfen bei der Handgepäckkontrolle kennen. Das Bild zeigt einen durchleuchteten Koffer und die darin enthaltenen unterschiedlichen Utensilien, u.a. ein Paar braune Cowboystiefel. In einem anderen Foto dieser Serie ist eine Golftasche mit Schlägern sichtbar. Die Gegenstände sind einerseits “unschuldig”, normale Gepäckstücke. Andererseits lassen sie Assoziationen auf den Golfkrieg zu, und der hegemonialen “Cowboy-Politik” Bush’s und der Vereinigten Staaten, wie sie kürzlich ein britischer Labour Abgeordneter benannt hat. So setzt die Arbeit Anspielungen auf Terrorgefahren mit globalen politischen Geschehen in inhaltlichen Zusammenhang.

Das Video von Dieter Kiessling aus Düsseldorf zeigt den Moment, in dem sich zwei elektronisch angesteuerte Vorhänge einer Großraumsporthalle in Bewegung setzen. Die Vorhänge unterteilen die Halle in drei kleinere Hallen. Durch die jeweils entgegengesetzten Bewegungsrichtungen der Vorhänge (im Vordergrund von unten nach oben, im Hintergrund von oben nach unten) öffnen und schließen sich unterschiedliche Bildausschnitte und Oberflächen der Halle und ihrer mit Neonlichtern bestückten Decke sowie den zu unterschiedlichen Sportarten zugehörigen Bodenbemusterungen. Das Video endet dann, wenn beide Vorhänge ihre Endposition erreicht haben. Das kontrollierte Ambiente der Halle mit ihren abstrakten Formatierungen spiegelt sich in der konzeptuellen Anlage des Videos wieder, das die Regie den Vorhängen und damit der Halle selber überläßt.

Das Berliner Architektenkollektiv ifau (Institut für angewandte Urbanistik) hat zusammen mit Jesko Fezer den Auftrag bekommen, das Palais Thienfeld in Graz - Spielort der Ausstellung "traurig sicher, im Training" - im nächsten Jahr umzubauen. Einen Teil der anstehenden Umbauten haben ifau und Jesko Fezer als ihren Beitrag zur Ausstellung vorgezogen; so zum Beispiel den Durchbruch der hinteren Außenwand des Gebäudes zum Innenhof. Alle Eingriffe haben den Effekt, dass sie den Innenraumcharakter des Erdgeschosses im Thienfeld stark zurücknehmen. Durch den grob belassenen (nicht begradigten oder sauber verputzten) Durchbruch ist der historisch angelegte und in den 50er Jahren durch Schließung verdeckte Passagencharakter des Raumes wieder freigelegt. Dieser Moment wird durch das Entfernen der Schaufenster aus der Fassade noch verstärkt. Es entsteht ein halböffentlicher Raum, der wenig mit der geschützten Atmosphäre von Galerieräumen gemein hat, sondern eher mit einem U-Bahn Zugang. Ein kräftiger Zugwind wird sich entwickeln, durch die Fensterlöcher kann Regen wie in einen Rohbau fallen, die Temperatur wird der herbstlich-vorwinterlichen Aussentemperatur gleichen und – zuguterletzt - es entsteht ein Sicherheitsproblem für die Ausstellung und die in ihr gezeigten Arbeiten - ein praktisches Problem, das mit der inhaltlichen Ebene des Projektes metaphorisch korrespondiert.

 

Kurator / curator
Søren Grammel

 

<< zurück