25.09. – 19.11.2010 | Imre Nagy. Koffeinmodus |
(Fotos von Franz Zar und Imre Nagy)
Im Studio Imre Nagy
Eröffnung / Opening Ausstellungsdauer / Duration of the exhibition Im Studio des Grazer Kunstvereins zeigt Imre Nagy (*1975) neue Arbeiten. Aus Materialien wie Holz, Papier, Klebeband oder Plexiglas und mittels subtiler Eingriffe und Kombinationen produziert der Künstler Skulpturen, die fragil und modellhaft wirken. Die Muster ihrer Konstruktion erinnern teilweise an die Durchlässigkeit und Offenheit früher modernistischer Raumexperimente. Die Wahl der ephemeren Baustoffe relativiert diesen Bezug aber wieder, in dem sie ihm eine spekulative und temporäre Haltung hinzufügt. Wenn man möchte, lässt sich aus diesen Arbeiten ein utopischer Unterton herauslesen. Man kann sie als Spuren der Auseinandersetzung mit einer nicht präzise bestimmbaren Vorstellungswelt sehen. Die teils geometrischen, teils asymmetrischen Abstraktionen der Modelle und ihre materiellen Bezüge scheinen die Koordinaten unterschiedlicher Ordnungssysteme zu verhandeln. Das tut sowohl die gescannte Darstellung der vier Außenansichten einer bei Reklam erschienenen Taschenbuchausgabe Wittgensteins wie auch die aus vertikalen Plexiglasstreifen zusammengesetzten Dreiecke, die auf einem gezeichneten Quadratmuster stehen und dieses in unzählige Facetten aufbrechen. Nagys Arbeiten stellen formale und inhaltliche Beziehungen zwischen räumlich-architektonischen und geistigen Praxisfeldern her. Die Qualität dieser Beziehungen liegt in ihrer Instabilität, die sich bewußt offen für permanente Veränderung und Befragung halten. Auf den zweiten Blick erkennbar setzen sich manche Arbeiten der Grazer Präsentation mit inhaltlichen oder formalen Aspekten des umgebenden Raums in eine Beziehung; sei dies ein bestimmter Katalog der im Studio aufgelegten Publikationen oder ein Teil der Möblierung des Ortes. Studio: Der Eingangsraum des Grazer Kunstvereins markiert eine Grauzone zwischen Bürosituation, Information, Vermittlung und künstlerischer Produktion. Neben wechselnden ausgewählten Publikationen, Editionen und Kunstzeitschriften, die den BesucherInnen zur Verfügung stehen, finden Interventionen von KünstlerInnen in diesem Bereich statt. Auch das Videoarchiv „Es ist schwer das Reale zu berühren“ oder eine Kaffeemaschine können hier von allen gratis benutzt werden.
Kurator / curator
REVIEW to the exhibition by Franz Zar Zur Ausstellung Koffeinmodus von Imre Nagy Imre Nagy (*1975) stellt im Studio des Kunstvereins Graz aus, einem vielfältig genutzten Ort, der zugleich Vorraum, Lesesaal und Videolounge ist. Die Infrastruktur für den Verkauf von Eintrittskarten und Katalogen befindet sich ebenfalls im Studio; am anderen Ende des Raums ein großer, niedriger Tisch, der, mit Sitzgelegenheiten umstellt, zum Lesen und Betrachten der im gegenüberliegenden Regal präsentierten Publikationen einlädt. Daneben ein weiß gestrichener Sockel auf dem sich eine Espressomaschine mit dazugehörigen Kapseln befindet; die Bezahlung eines Espressos erfolgt freiwillig in ein Glas, das halbvoll mit Münzen gefüllt, ebenfalls auf dem Sockel steht. Eine Sammlung von Videos, aus der man wählen kann, steht samt Monitor zur Verfügung. Die Nutzung des Studios im Sinne des beschriebenen Angebots ist kostenlos; man muss keine Eintrittskarte kaufen, um zu lesen oder ein Video zu sehen. Das Studio vereint also im Kleinen diejenigen Institutionen, die heute in allen großen Kunstmuseen wie selbstverständlich den Ausstellungsräumen angeschlossen sind; das Kaffeehaus und die Bibliothek. Ist es bereits sehr schwer sich in den genannten Räumen mit Kunst durchzusetzen, so birgt das Studio im Kunstverein Graz eine zusätzliche Schwierigkeit, und es ist mit Sicherheit die größte: das Studio ist ein Durchgangsraum, der größeren Hauptausstellung vorgelagert; der zu bezahlende Eintritt trennt beide Räume und das in ihnen Gezeigte in ihrer Bedeutung. Das 20. Jahrhundert hat in seiner Ausstellungspraxis nach und nach alles unternommen, um die Rezeption des Kunstobjekts von allem zu befreien, was nicht mit der Betrachtung des Objekts selbst zu tun hat. Die Seidentapeten an den Wänden, die oft mit Ornamenten bestickt sind, werden durch monochrome, titanweiße Flächen ersetzt. Das wand- und raumfüllende Arrangieren von Kunstobjekten wird abgelöst durch die Vereinzelung der Werke, um jedes für sich, möglichst ohne unmittelbare Nähe zu anderen Arbeiten, wie unter der Lupe studieren zu können. Die Rezeption von Kunst wird, entsprechend der Entwicklung akademischer Kunstinstitutionen, der Untersuchung wissenschaftlicher Sachverhalte angenähert. Im Studio des Kunstvereins Graz nun ein ganz anderer Ausgangspunkt, der davon ausgeht, dass Kunst in Räumen präsent sein soll und kann und können muss, die zugleich für Anderes als das Präsentieren und Betrachten von Kunst genutzt werden. Nagy konstruiert einen Überbau aus MDF-Platten, gleichsam ein Tisch auf dem Tisch, der etwa ein Viertel von dessen Fläche einnimmt, und platziert einige Objekte darauf. Auf der ursprünglichen Tischfläche befinden sich Künstlerbücher von Nagy, die reproduzierte Zeichnungen sowie Gedichte enthalten. Die Beschreibung dieser Einrichtungen ist insofern wichtig, als sie Imre Nagy als einen Künstler zeigen, der kein Interesse daran hat, die etablierte Funktion des Studios zu unterlaufen, sie zu sabotieren, den Raum radikal umzubauen um letztlich keine andere Funktion als die des Präsentierens und Rezipierens von Kunst zuzulassen. Der Künstler tritt im Gegenteil als eine Art Dienstleister des Bestehenden in Erscheinung, der den gegebenen Raum verbessert, ihn durch seine Eingriffe aufwertet. Keine der vorhandenen den Besuchern im Studio angebotenen Interaktionen wird in ihrem funktionellen Ablauf angetastet. Ich habe für den vorliegenden Text ein langes Gespräch mit Imre Nagy über diese Ausstellung geführt, dessen von mir aufgezeichneten Inhalt ich aber bewusst nicht in transkribierter Form wiedergebe, da es nicht als Interview mit präzisen Fragen und knappen Antworten angelegt war. Ich nutze vielmehr die im Gespräch gewonnenen Erkenntnisse für die Beschreibung und Beurteilung der Ausstellung. Die Bescheidenheit im Umgang mit dem Raum, deckt sich mit der persönlichen Wirkung Nagys. Ebenso auffällig die Genauigkeit in der offensichtlich sehr geduldigen Ausführung der Objekte. Die verwendeten Materialien sind allesamt leichte, gut zu verarbeiten und relativ günstig; Karton, Papier, Plexiglas, Holz sind die wesentlichsten Grundstoffe. Der endgültigen Form eines Objekts gehen viele Skizzen und Versuche voraus; dieser Vorgangsweise entspricht die Flexibilität von Papier und Karton, sie bieten für die Erstellung unterschiedlichster Formen innerhalb kurzer Zeit die idealen Eigenschaften. Am aufdringlichsten ist die Assoziation mit Architekturmodellen bzw. mit Modellen für größer auszuführende Skulpturen, wobei Nagy beide Lesarten ausdrücklich unterstützt, ohne sie verabsolutieren zu wollen. Eine frei stehende, etwa einen Meter hohe Skulptur aus Holz zeigt den gescannten Umschlag des im Reclam Verlag erschienenen Wittgenstein Readers. Nagy entfernt das Portrait Wittgensteins auf dem Umschlag, da für ihn das Wort Wittgenstein allein stark genug ist. Jedwede künstlerische Äußerung durch die Bezugnahme oder durch den beiläufigen Verweis auf Respekt einfordernde Namen zu legitimieren, sei es in schriftlicher oder visueller Form, ist die wichtigste Praxis, neue Kunst zu etablieren. Probleme treten dann auf, wenn die zu etablierende Kunst dem Gehalt der benutzten Namen nichts entgegenzusetzen, nichts hinzuzufügen hat. Ich bringe diese Thematik im Gespräch mit dem Künstler auf. Nagy erzählt, dass das Nichtverstehen oder das Nichtganzverstehen von Wittgenstein oder auch nur die Vermutung dessen, für ihn Bilder erzeugt, die er produktiv nutzen kann. Nagys Muttersprache ist nicht Deutsch, sondern Ungarisch. Dennoch liest er Wittgenstein auf Deutsch, schreibt seine Gedichte, die er als noch zu verbessernde Versuche versteht, auf Deutsch, gibt seinen Arbeiten Namen auf Deutsch. Er besteht darauf, sein künstlerisches Gedanken- und Ideenreservoir auf Deutsch zu entwickeln, auszudrücken und auch zu verschriftlichen. Das Interesse für Sprache und im Weiteren für Sprachphilosophie ist evident, die Beschäftigung mit Wittgenstein für Nagy auch eine unverzichtbare Herausforderung. Nagy ist sich der Problematik der Bezugnahme auf Namen wie Wittgenstein bewusst, reagiert auch durch die Entfernung des Portraits vom Buchumschlag darauf. Die Lektüre als Impulsgeber ist für ihn letztlich so wichtig, dass er nicht aus falscher Umsicht darauf verzichten will. Es erfordert große Vorsicht, und es bedeutet auch Einiges an Anstrengung und Konzentration, sich Nagys Arbeitsweise zu nähern, und letztlich den Versuch zu unternehmen, ihr eine schriftliche Entsprechung gegenüberzustellen. Nagy versucht sehr gewissenhaft und akribisch, jeden Bewusstseinsinhalt und jede Wahrnehmung, die ihm bemerkenswert erscheint, in eine dreidimensionale Form umzusetzen, oder anders gesagt, er versucht so viele und so unterschiedliche Einflüsse wie möglich für seine Arbeit nutzbar zu machen. Strukturen eines Texts werden so zur Form. Worte und Wortverbindungen werden zur Form. Verstandene und missverstandene Bedeutungen werden zur Form. Auch beobachtete, bestehende Formen werden wieder in neue Formen übersetzt, etwa die Gestaltung von Stadtmöblierungen. Die wichtigste Arbeitsmethode für diesen Transformationsvorgang ist das Zeichnen. Die meist kleinformatigen Zeichnungen, die Mittel der Kontemplation, Konzentration und Formfindung zugleich sind, gelten für Nagy als eigenständige Arbeiten. Darüber hinaus bilden sie die wichtigste Grundlage für die Konstruktion der Objekte, die selbst wiederum als Modelle größerer Skulpturen verstanden werden können. Die Verschachtelung unterschiedlicher Übersetzungsvorgänge ist also bereits in die Struktur der Arbeitsweise eingeschrieben, von denen die erste und fundamentalste die Übersetzung die Muttersprache Ungarisch in die Fremdsprache Deutsch ist. Das 20. Jahrhundert hat das Bild des Künstlergenies, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, in bis dahin unbekannter Weise verabsolutiert. Ist die Idee der genialen, von äußeren Hindernissen unbeeindruckten, unabhängigen Schöpfung eine oft beklagte Bürde früherer Jahrhunderte, so sind doch zugleich die Parameter, nach denen das Genie als solches identifiziert werden kann, bis zur Moderne relativ klar definiert. Stilistische und inhaltliche Parameter der bildenden Kunst bleiben bis zum späten 19. Jahrhundert Gegenstand von Konventionen, die von den Institutionen Kunstakademie und Kunstmuseum etabliert und gestützt werden. Das 20. Jahrhundert findet seine Bestimmung im Wesentlichen in der Dekonstruktion eben dieser Konventionen sowie im permanenten, diskursiven Versuch, neu gewonnene Handlungsspielräume für neue formale Lösungen zu nutzen. Mit der Zunahme der ästhetischen Möglichkeiten verschieben sich gleichzeitig die Kategorien der Beurteilung von Kunst. Begriffe wie gut, schön oder erhaben verlieren an Bedeutung zugunsten der rationalen Einordnung einer Arbeit in den Diskurs: übrig bleibt die Entscheidung, ob eine Arbeit für den Diskurs relevant ist oder nicht. Der Begriff des Genies bleibt im Gegensatz zu den historisch gewachsenen Bewertungskategorien beinahe unangetastet erhalten, wird allerdings durch die immer schwerer festzustellenden Qualitätsparameter auch schwerer argumentierbar. Darauf wird seitens der Künstler vielfach mit schlichter Diskursverweigerung reagiert, die sich durch Beharrlichkeit zur vorauseilenden Genievermutung transformieren soll. Die Strategie ist alt, und der menschlichen Wahrnehmung sehr zuträglich; sie erinnert an das Orakel von Delphi gleich wie an jede religiöse Predigt, wo durch ausgeklügelte Mittel der Ästhetisierung ein Zustand der visuellen Überwältigung erzeugt wird, der jeden in diesem Zusammenhang verbalisierten Inhalt vollkommen irrelevant werden lässt. Es macht keinen Unterschied, ob der staunende und ekstatische Betrachter einen reproduzierbaren Gedanken vermittelt bekommt, oder die Sprache in der zu ihm gesprochen wird überhaupt versteht; der Zustand der Überwältigung, Einschüchterung, bedingungslosen Anerkennung von Autorität bleibt unangetastet. Als Beispiel sollen an dieser Stelle die bis zum zweiten Vatikanischen Konzil in lateinische Sprache abgehaltenen Messen dienen, vom Großteil der Bevölkerung weder verstanden noch reflektiert. Ist die Qualität von Kunst überprüfbar? Sind dafür die von ihr vermittelten, versprachlichten Inhalte heranzuziehen? Kann Kunst überhaupt sprachliche Inhalte vermitteln, oder wirkt es nur so, weil zu jeder Arbeit sofort der Text dazugeliefert wird? Wird Kunst zumindest kurzfristig als gut beurteilt, wenn sie aussieht wie die zurzeit etablierte Kunst? Imre Nagys Arbeiten sehen sicherlich aus, wie Kunst heute aussieht; seinen Arbeiten muss also eine gewisse Kompetenz, eine gewisse Autorität zugestanden werden. Seine Skulpturen entsprechen der gängigen Praxis, filigrane, abstrakt minimalistische, geometrische Objekte aus wiedererkennbaren Konstruktionsmaterialien herzustellen, und darüber hinaus die Bearbeitungsspuren möglichst offen zu legen. Es ist eine Praxis, die sich insofern bewährt hat, als sie geeignet ist, die Wahrnehmung während des Betrachtens zu schärfen sowie immer wieder neue Lösungen als für eine Skulptur geeignet kennen zu lernen. Auch die Arbeit von Nagy schärft den Blick des Betrachters, bringt Details zur Kenntnis, sowie Möglichkeiten, mit derartigen Feinheiten umzugehen. Der Versuch, die Qualität von Nagys Arbeit nachzuweisen, muss mit Verweis auf die Beharrlichkeit des Künstlers selbst unternommen werden. Beharrlichkeit in Bezug auf die Arbeit und nur auf die Arbeit, nicht in Bezug auf den Wunsch Karriere machen zu wollen, was mit Beharrlichkeit in Zusammenhang mit Kunst meistens gemeint ist. Nagy legt kein besonderes Augenmerk auf Selbstvermarktung sowie die beziehungstechnischen Unausweichlichkeiten einer Karriere im Kunstbetrieb. Nagy ist das Interesse des Kunstvereins Graz an ihm und seiner Arbeit beinahe unangenehm. Nagy ist nicht weltfremd oder weltabgewandt, im Gegenteil. Sein Ziel ist viel stärker als bei den meisten Künstlern seiner Generation die Vertiefung und Präzisierung seiner skulpturalen Überlegungen. Nagy spricht im Zusammenhang mit seiner Kunst oft von Versuchen, von Vorläufigem, noch nicht Perfektem. Worüber man nicht sprechen kann, daran muss man glauben.
|