18.01. – 19.03.2011 | Michaela Meise. Akkumulation |
(Johanna Glösl)
Michaela Meise
Eröffnung / Opening Ausstellungsdauer / Duration of the exhibition
Die Ausstellung “Akkumulation” zeigt neue, für den Kunstverein produzierte Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Michaela Meise (*1976).
Arbeiten / works FOYER
ZWISCHENRAUM
RAUM 1 Weinrebe
RAUM 2 (Mittelraum) The Painter‘s Daughters
RAUM 3
RAUM 4
SCHAUFENSTER UND TÜREN
KLEINER DURCHGANGSRAUM
Eröffnungsrede Zur Ausstellung AKKUMULATION von Michaela Meise Grazer Kunstverein 18.01. - 19.03.2011
Ich möchte heute über eine Gruppe von Skulpturen von Michaela Meise reden, die ich als "Gestelle" bezeichne, und die sie für ihre Ausstellung im Kunstverein neu produziert hat. Mit dem Ausdruck beziehe ich mich nicht auf ein gebautes Detail, sondern auf ein Verfahren der ästhetischen Kommunikation, dass diese verkörpern. Wie schon andere Raumstrukturen Michaelas, verweisen diese Arbeiten auf eine von der Künstlerin empfundenen Notwendigkeit, ihr eigenes Display für die An-Ordnung der für sie bedeutenden Referenzen zu definieren. Die Gestelle entstehen durch die Einlagerung diverser Gegenstände zwischen eine Anzahl von transparenten Plexiglasscheiben, die auf schwarz lackierten Stahlprofilen aufgelegt sind. Die Scheiben zeigen diese Artefakte wie in einer Vitrine. Während die Objekte in einer Vitrine aber meist nebeneinander und Hintereinander so angeordnet sind, dass der Blick auf jedem ungestört verharren kann, kreieren die Gestelle eine Anzahl von unterschiedlich dichten Überlagerungen. Der schichtartige Aufbau tauscht das Nebeneinander einer Vitrine mit dem Übereinander des Layers aus. Wir können auf die Gestelle wie auf die vergrößerten Glasplättchen eines Mikroskops schauen. Michaela verfolgt einen Collage-Ansatz. Von der Seite betrachtet erinnert das Prinzip zwar an einen Sandwich, in dem jede Zutat durch eine Weißbrotscheibe von der anderen getrennt ist. Beugt man sich aber über die Gestelle und betrachtet sie von oben, so erscheinen die eingelagerten Dokumente miteinander verknüpft. Das Gestell ist ein visuelles Bezugssystem, es stellt eine Begegnung zwischen unterschiedlichen Dokumenten und Fundstücken her. Ich erinnere mich an das symbolische Bild des Seziertischs, auf dem der Künstler Man Ray die Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine inszenierte. Das Schichten der Objekte verweist auf das Verfahren der Archäologie. Durch das Bergen, Lesen und Interpretieren verschiedener Dinge, die aus langatmigen Ablagerungsprozessen wieder hervorgeholt werden, gewinnen wir Einsichten in die menschliche Kultur. Archäologische Verfahren können nicht nur in Bezug auf Gegenstände gedacht werden. Für den französischen Philosophen Michel Foucault war Archäologie eine Technik, zu erkennen, wie bestimmte Formationen des Wissens entstanden sind. Sein Vorgehen beschrieb er als eine Arbeit an Archiven oder als eine „Archäologie“ von Diskursformationen. Auch Michaela bezieht sich im Gespräch auf die Archäologie. Weniger, weil ihr Vater Hobbyarchäologe ist. Sondern weil auch sie "alte Dinge, die teilweise kaputt gegangen sind", in ihren Arbeiten wieder hervorholt. Welche Zusammenhänge und Begehren eröffnen sich aber zwischen den in den Gestellen solchermaßen sichtbar gemachten Gegenständen und Dokumenten? Wo liegen beispielsweise die Bezugslinien, die sich im Miteinander von Thomas Gainsboroughs Doppelportaits seiner beiden Töchter Mary und Margaret aus den 1750er Jahren und den verschieden-sprachigen Ausgaben des Buchs „Schwarze Sonne“ der Psychoanalytikerin Julia Kristeva ergeben? Müssen wir ihr erst Buch gelesen haben, um Michaelas Arbeit zu verstehen? Statt Definitionen möchte ich versuchen, einige mögliche Bezüge zwischen den unterschiedlichen Referenzen der Gestelle zu benennen – so, wie ich sie sehe. Denn schließlich bewegen sich Michaelas Skulpturen und Installationen an einer durch die Minimal Art forcierten Schnittstelle zwischen der Beschaffenheit formaler Strukturen und deren Öffnung für die Selbstprojektionen ihrer Betrachter – also auch mir. Es war ein Bruch mit dem Kanon akademischer Motive, als Gainsborough in den 1740er Jahren anfing, die Beziehung zu seinen Töchtern über Jahre malerisch zu thematisieren. Seine Bilder scheinen die Psyche der Töchter zu erforschen. Die Intimität der Bilder ist bemerkenswert, aber auch gruselig. Was bedeutete diese Vermischung der Arbeit des Vaters mit dem Alltag der Töchter für alle Beteiligten? Den Bezug Michaelas zu Gainsborough verstehe ich in ihrer eigenen Auseinandersetzung mit dem Motiv der Familie als einer sowohl gesellschaftlich bedingten wie auch psychologischen Konstellation. In der Arbeit "Wir lesen" zeigt die Künstlerin Familienfotos aus den 70/80er Jahren, die Lesen als einen festen Bestandteil des damaligen Familienalltags zeigen: - Vater hält die Zeitung, während er das Kind balanciert; - Mutter liest konzentriert ohne Notiz vom Fotografen zu nehmen; - Bruder ist in einem Verkehrsmittel ganz mit seinem Buch beschäftigt. Im selben Gestell liegt ein Foto der Sängerin Alexandra (wurde 1969 bekannt mit: "Mein Freund der Baum"). Handelt es sich um eine Anspielung auf den Vornamen des Bruders Alexander? Oder verkörpert Alexandra eine weibliche Künstleridentität, auf die Michaela eigene Vorstellungen projiziert? Verweist Alexandra einfach auf ein bestimmtes bildungsbürgerliches Milieu? Eine Reihe ausgeschnittener Buchstaben ist schichtweise zwischen die Glasplatten gelegt. Rückwärts buchstabiert ergibt sich ein alter Kosename der Künstlerin, "Michi". Die Buchstaben verdecken sich gegenseitig. Das letzte "i" ist kaum sichtbar. Das Wort kann auch als "Mich" gelesen werden, könnte also auf die Frage anspielen, was "Ich" und "Mich" eigentlich bedeutet. Hier ergibt sich eine weitere Variante des Archäologischen: Das Bergen verloren gegangener Schichten ist auch ein Verfahren der Psychoanalyse. Durch Traumdeutung und assoziative Gespräche werden verdrängte Schichten des Bewusstseins freigelegt, deren Interpretation Einsichten über das eigene Wesen geben können. Auf Michaelas Interesse an der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und deren Position im Verhältnis von Geschlecht und Gesellschaft verweisen verschiedene präsentierte Ausgaben Julia Kristevas Buch "Schwarze Sonne". Die dem Poststrukturalismus zugeordnete Autorin beschäftigt sich darin mit Symptomen der Depression und Melancholie, denen sie Kreativität und künstlerische Praxis als eine Art positiver Symptomatik zuordnet. Aber warum erscheint das Buch hier in drei unterschiedlichen Sprachen? Welche Strategie verfolgt Michaela mit diesen Referenzen? Und in welcher 'Sprache' können wir sie lesen? Kristeva schreibt über das Lachen als einer revolutionären Praxis. Jede Praxis, die ihre eigenen Ränder überschreitet, die mit ihren Codes bricht – also eine Innovation schafft – bezeichnet sie als eine Art des Lachens. Diese Vorstellung von Lachen lässt mich an das Lachen der Fischerjungen-Skulpturen des französischen Bildhauers Jean-Baptiste Carpeaux denken, auf den sich Michaela in der Ausstellung hier zwei Videos bezieht. Durch die gewählten Artefakte und sozialhistorischen Referenzen scheint Michaela die Koordinaten eines Feldes zu skizzieren, in dessen Zentrum immer wieder die Familie bzw. die Künstleridentität als Teil einer Familie erscheint. In diesem Zusammenhang sehe ich assoziativ auch die ausgeschnittenen und auf die Schaufensterscheiben geklebten Hakle-Toilettenpapier Welpen, die mit ihrer am Computer nachgeklonten Niedlichkeit zugleich auch das Gespensthafte eines perfekten Heims - den Ort der Familie - für mich personifizieren. Aber dies sind nur einige persönliche Lektüren der Arbeiten, die ich hier anbiete. Auch hier gilt die Überlegung, dass das essayistische Arbeiten - welches ich Michaela unterstelle - den antisystematischen Impuls ins eigene Verfahren aufnimmt - und Begriffe subjektiv so einführt, wie es sie empfängt. Die Gestelle stellen also auch uns: nämlich vor die Herausforderung, aus ihrem Bestand die unterschiedlichsten (Bedeutungs-)Schichten zu bergen. In diesem Sinn erinnern mich die Arbeiten an eine Denkfigur Heideggers: Wenn der Mensch etwas zu Entbergendes stellt, dann spricht Heidegger vom Gestell. Søren Grammel
Kurator / curator
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