29.09. - 24.11.2012 | Intoleranz / Normalität |
Fotos: Christine Winkler | Courtesy: Grazer Kunstverein
30.09. - 24.11.2012 | Intoleranz / Normalität (co-production steirischer herbst 2012)
Eröffnung | Opening 29. September 2012 um 15:00 Uhr | September 29, 2012 at 3 pm
Mit | with Discoteca Flaming Star, Beate Engl, Harun Farocki, Karl Holmqvist,
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Intoleranz / Normalität
Rechtsextreme und rechtspopulistische Politiken sind auf dem Vormarsch und mit ihnen neue Formen der Intoleranz. Die wachsende Akzeptanz dieser Tendenzen als selbstverständliche Strömungen des politischen Spektrums sowie die damit einhergehende Stigmatisierung all dessen, was als kulturell fremd markiert wird, kann als gesellschaftlicher Prozess der Normalisierung beschrieben werden. Einstmals tabuisierte Positionen werden salonfähig, wobei der Einzug rechter Parteien in die europäischen Parlamente nur den sichtbarsten Aspekt dieser politischen Symptomatik darstellt, eines Rufs nach traditionellen Werten und Ordnungsvorstellungen, die auf der Basis identitärer Politiken auf Ausschluss zielen. Die Ausstellung „Intoleranz/Normalität“ befragt die schleichende Normalisierung dieser neuen politischen und kulturellen Reinheitsgebote. Sie setzt dabei allerdings auf künstlerische Positionen, die die Politizität ihrer Praxis weder in der unmittelbaren Abbildung politischer Realitäten verorten, also im traditionellen Sinne ‚politische Aufklärung’ betreiben, noch im Rahmen aktivistischer Handlungsfelder lokalisieren. Vielmehr setzt „Intoleranz/Normalität“ auf künstlerische Positionen, die – trotz aller Wirklichkeitsbezüge und referentiellen Sättigungen der Arbeiten – das Politische ihrer Praxis nicht zuletzt auch in der Intransparenz, Poetik und Eigenlogik der künstlerischen Form verorten. Das Feld des Realen figuriert hier weder als Dokument noch als unmittelbares Handlungsfeld, sondern wird vielmehr zum Material, das es zu sprengen gilt – das es zu sprengen gilt, um Räume zu eröffnen, die die eingespielten Routinen selbstverständlich gewordener Sinnzuschreibung suspendieren und neu verhandelbar machen. In diesem Sinne greift die Ausstellung „Intoleranz/Normalität“die identitären Exklusionslogiken rechter Politiken als thematischen Rahmen auf, um mit künstlerischen Formen des Nicht-Identischen, des Hybriden, und des Monströsen zu antworten. Den Auftakt oder auch das Vorspiel der Ausstellung bildet eine basale skulpturale Geste, Beate Engls Arbeit „Kiste“ (2012), die isoliert im Eingangsraum des Kunstvereins positioniert ist. Der Aluminiumabguss einer auf den Kopf gestülpten Obststiege kann hier als Urszene des Politischen gelesen werden – als Akt der Selbstermächtigung und Instituierung des sozialen Feldes als politischen Raum: Indem der/die Einzelne – auch im wörtlichen Sinne – seine/ihre Stimme und sich selbst zum Sprecher erhebt, konstituiert er/sie zugleich auch in ein und derselben Bewegung sich selbst als politisches Subjekt und die Vielen als Öffentlichkeit. Beate Engls auratisch inszeniertes Anti-Monument politischer Selbstermächtigung wird im Durchgang zu den Haupträumen des Kunstvereins von Katrin Mayers und Heiko Karns filigranen grafisch-skulpturalen Gebilden aufgenommen und gekontert. Die Arbeit „WE“ (2012) fügt sich in und sperrt sich zugleich gegen die Architektur, schmiegt sich in ihre Nischen, eignet sich Raum an und okkupiert ihn als Territorium. In labilem Gleichgewicht dekonstruiert „WE“ mit grafischen Mitteln das englische Wort ‚wir’, zerlegt es über Ink-Jet Prints in die Lineaturen seiner beiden Lettern und projiziert sie über die modulartig mutierenden Metallkonstruktion (aus Ikea-Stützkreuzen) in den Raum. In strenger, formalistischer Meditation erscheint hier die erste Person plural als politisches Kollektivsubjekt – als Kollektivsubjekt, das einerseits die Voraussetzung für jegliche Form des solidarischen Handelns ist, andererseits aber notwendig auch eine Grenze zwischen ‚uns’ und ‚ihnen’ zieht, sprachlichen einen sozialen und zugleich ideologischen Raum eröffnet, der das Außen exkludiert und das Innen homogenisiert. Scott Kings Arbeit „Your Children Are Revolting“ (2012), ihren Titel als Slogan, Werbespruch und paternalistischen Vorwurf in riesigen Lettern durchbuchstabierend, ist auf der Frontseite der Wand bzw. des Billboards aufgebracht, das die drei Ausstellungsräume des Kunstvereins diagonal durchschneidet und die Sequenzialisierung der Architektur – metaphorisch gesprochen ihre Fixierung in drei separate (Raum)Identitäten – in ein einziges, zerklüftetes Raumkontinuum überführt. In Kings Arbeit wird Öffentlichkeit bzw. der Raum des Politischen nicht ‚von unten’ (wie etwa in Beate Engls „Kiste“) hergestellt, sondern im hegemonialen Modus der Adressierung durchgesetzt. King affimiert diesen Modus durch die ‚top-down’ Logik des Slogeneerings in massiven Lettern, wie er ihn zugleich durch die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚revolting’, das im englischen sowohl ‚rebellieren’ wie auch ‚abstoßend’ meint, unterläuft. Auf der Rückseite des Billboards wird Harun Farockis Film „Leben – BRD“ (1990) projiziert, die einzige ‚historische’ Arbeit in der Ausstellung, die ihr gewissermaßen auch als Basistext dient, um den Begriff der Normalität filmisch zu explizieren. „Leben – BRD“ ist, der Titel deutet es an, ein Sittenbild der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren um 1990. Relevant ist Farockis Gesellschaftsporträt hier vor allem deshalb, weil er mit seinem ‚Gesellschaftsportrait’ gerade nicht den Versuch unternimmt, einer wie auch immer gearteten, sich vermeintlich unmittelbar ereignenden ‚Wirklichkeit’ ein Bild zu entreißen, sondern, ganz im Gegenteil, ausschließlich auf gesellschaftliche Simulationen von ‚Wirklichkeit’ zugreift. Farocki zeigt, wie eine Gesellschaft das Bild, das sie immer schon von sich selbst hat, auf allen sozialen und institutionellen Ebenen permanent und alltäglich reproduzieren muss, um es als gesellschaftliche Norm aufrecht zu erhalten. Normalität selbst erscheint hier somit nicht als statistische Größe, die post-factum messbar wird, sondern als unablässige Form einer kontinuierlich zu leistenden gesellschaftlichen Arbeit, die diese zuallererst herstellt und auch herstellen muss. „Leben – BRD“ organisiert das dokumentarische Material von Schulungen, Übungen, Manövern, Materialtests und Therapien dramaturgisch entlang einer imaginären menschlichen Lebenslinie von der Geburt bis zum Tod. Rückwärtig läuft die Ausstellung dann auf eine Arbeit des Performance-Duos Discoteca Flaming Star zu, die aus zwei Bannern und der Doppelprojektion „Eigentlich 12mal Alissa (Film)“ (2012) besteht. Discoteca Flaming Star performen hier ein ursprünglich von Lorca geschriebenes Kampflied aus dem spanischen Bürgerkrieg, weiters das von Werner Schneyder für die Brecht-Schauspielerin Gisela May ins Deutsche übertragene Lied ‚Amsterdam’ von Jacques Brel sowie ein Gedicht über die amerikanische Schriftstellerin Ayn Rand, die gebürtig – daher der Titel – Alissa Rosenbaum heißt. Die in Europa nahezu unbekannte Ayn Rand gehört zum Kanon des US-amerikanischen Bildungsguts und ist eine Ikone der amerikanischen Rechten. Die von ihr begründete Philosophie des so genannten ‚Objektivismus’ könnte man als Karl-May-Variante der Nietzscheanischen Idee des Übermenschen bezeichnen, einer radikalindividualistischen, auf ‚Vernunft’ gegründeten Ethik und Ideologie des Kapitalismus. Discoteca Flaming Stars Ausstellungsbeitrag – ein Work in Progress, das die Performance „Eigentlich 12mal Alissa“ filmisch und installativ übersetzt – greift die Figur der Schriftstellerin als nackte, ältere Dame im Pelzmantel auf und verhandelt über sie die Denkfigur des Monströsen als entstellte Rückkehr des diskursiv Ausgeschlossenen. Auch Karl Holmqvist performiert in seinen Texten und Lesungen Figuren des Monströsen. Holmqvists Arbeiten sind Cut-Ups und Montagen, die aus einer Vielzahl zirkulierender Texte, Sprechweisen und Sprachformen montiert sind. Hier wird der Autor zum Medium anderer Sprachen, formt einem kollektiven Sprachkörper, der die Vielstimmigkeit der Fragmente durch Rhythmisierung, Intonierung und Wiederholung in den Bannkreis seiner Stimme zieht. In der Videoarbeit „I’LL MAKE THE WORLD EXPLODE“ (2009) verschneidet Holmqvist – neben zahlreichen weiteren Texten – den Song „Corporate Cannibal“ von Grace Jones, einer Ikone der schwulen Kultur, mit den homophoben Invektiven des Jamaikanischen Dancehall Stars Buju Banton, und lässt sie beide in refrainartig wiederkehrenden, sich wandelnden Konstellationen mutieren. Die von Holmqvist auch als ‚drag-perfomance’ bezeichnete Form seiner mantra-artigen Rezitationen transformiert so die stigmatisierenden Attacken in ihr Gegenteil, als Zelebration einer queeren Identität, die fixierenden Zuschreibungen einer heteronormativen Gesellschaft entkommt. In, über und auch neben der Ausstellung schwebt Ralf Homanns Beitrag „Alles für Alle“ (2012). Es ist zugleich der ephemerste wie auch der konkreteste Beitrag zu „Intoleranz/Normalität“. Ralf Homann hat ein Radio-Essay produziert, das – neben zwei Sendeterminen auf dem freien Sender Radio Helsinki – in der Ausstellung über einen Piratensender ausgestrahlt wird. Homann begibt sich hier auf eine Schiffsfahrt, die zwischen Herren-, Frauen- und Krautinsel im bayrischen Chiemsee mäandert und zugleich von den elektronischen Bewegungen auf seinem Smartphone überlagert wird. „Alles für Alle“ ist eine Reise in die Normalisierung rechtspopulistischen Gedankenguts, die den ‚Maskulinismus’ als Brückenfigur des Mainstreamings einst tabuisierter Politiken liest. Das Radio-Essay verlässt eingeübte Diskurse und entwickelt aus der journalistischen Form des Heimat-Features, den Denkfiguren alltäglichen Sprachgebrauchs sowie populärer Musik eine hybride Hör-Strecke, die unterschiedliche Sprechakte thematisiert, die hinter den divergenten Wahrheitsansprüchen von Wissenschaft, Kunst und Politik agieren und Definitionen des Raums und der Kultur vermischen, um so Rassismus und Entdemokratisierung zu ermöglichen.
Veranstaltungen Rundgang steirischer herbst Ralf Homann: »Alles für alle« (Radio-Essay) Sonderführung Intoleranz / Normalität
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