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8. Juni – 11. August 2013

TRADITION
Eine Auswahl aus dem Center for Social Research on Old Textiles (CSROT) mit Arbeiten von Willem Oorebeek, Lucy Skaer und Christopher Williams


Silk red velvet with embroidery (fragment), Italy, 15th century,
16 x 20 cm, silk, metal thread.
Courtesy of Center for Social Research on Old Textiles

Der Grazer Kunstverein setzt seine Erkundung rund um das Konzept der sozialen Abstraktion fort und präsentiert eine Auswahl aus der umfassenden Sammlung historischer Textilien, die der Sammler Seth Siegelaub (geb. 1941, The Bronx) für das Center for Social Research on Old Textiles zusammentrug. Derzeit umfasst diese Sammlung rund 650 Stücke, darunter gewebte und gedruckte Textilien, Stickereien und Trachten, die von koptischen Einzelstücken aus dem 5. Jahrhundert über präkolumbianische Textilien aus Peru und asiatische und islamische Stoffe aus dem späten Mittelalter bis zu europäischen Seiden- und Samtgeweben (Renaissance bis ins 18. Jahrhundert) reichen. Der Grazer Kunstverein wird eine Auswahl von 50 Exponaten, die neben Kunstwerke gestellt sind, zeigen. Die Ausstellung folgt 'The Stuff That Matters' im Raven Row Ausstellungszentrum (London) 2012, der ersten öffentlichen Präsentation der Sammlung.

Nachdem er von 1964 bis 1966 seine eigene Galerie in New York geleitet hatte, spielte Seth Siegelaub bei der Kunstrichtung, die nun zunehmend als „Konzeptkunst“ bekannt wurde, eine entscheidende Rolle. So organisierte er zwischen 1968 und 1971 21 Kunstausstellungen in bahnbrechenden Formaten. 1972 wandte er sich von der Kunst ab und ging nach Paris, wo er politisch linksgerichtete Bücher über Kommunikation und Kultur sammelte und verkaufte und das International Mass Media Research Center gründete. Zu Beginn der 1980er-Jahre begann er, Textilien und Bücher über diese zu sammeln, und gründete 1986 das Center for Social Research über Old Textiles, das über die Sozialgeschichte handgewebter Textilien forscht. 1997 gab er die „Bibliographica Textilia Historiae“ heraus und veröffentlichte sie – die erste allgemeine Bibliografie über die Geschichte von Textilien, die inzwischen online auf über 9000 Einträge gewachsen ist. 

Die intime Beziehung zwischen Textilien und der Gesellschaft wird, so erklärt Siegelaub, in der fundamentalen Rolle deutlich, die diese beim Aufstieg des kapitalistischen Systems und der industriellen Revolution gespielt hat. Während Form und Ästhetik von Textilien generell von ihrer Herstellungsweise bestimmt sind, basiert die Auswahl in der Ausstellung im Grazer Kunstverein vor allem auf der Abstraktion von Formen, die mit einer gewissen Funktion einhergehen. Zu den Ausstellungsstücken gehören auch ein Rindenstoff (Tapa) und Haarschmuck aus dem Pazifik (besonders aus Papua Neu-Guinea) und Afrika.

Die Textilien werden in einen Dialog mit den Arbeiten dreier KünstlerInnen gestellt, Willem Oorebeek, Lucy Skaer und Christopher Williams, deren Konzeptkunst die Vorstellungen von Handwerk, industrieller Reproduktion, Modernität, Aneignung und Darstellung entsprechend reflektiert.


Willem Oorebeek
‘Dot-Screen-Wall’, 2011
Sammlung Generali Foundation, Wien /  Generali Foundation Collection, Vienna

Die Arbeit von Willem Oorebeek (geb. 1953, Rotterdam, NL) behandelt den Status des Bildes, seine Reproduktion und Verbreitung. Mittels grafischer Drucktechniken überarbeitet er Bilder aus Massenmedien und untersucht ihre Bedeutung unabhängig von ihrem ursprünglichen Zusammenhang. Oorebeeks 'Dot-Screen-Wall' (2008), zum Beispiel, zeigt die Vergrößerung eines Punktes als primäres Element des mechanischen Druckes. Der Logik der fotografischen Vergrößerung folgend sind diese Punkte als Tapetenmuster angeordnet und umgeben eine leere Kinoleinwand. So wird die filmische Erfahrung von Sprache der Thematik der Innendekoration unterworfen.


Christopher Williams
‘Mustafa Kinte (Gambia) / Camera: Makina 67 506347, Plaubel
Feinmechanik und Optik GmbH, Borisgallee 37, 60388 Frankfurt
am Main, Germany / Shirt: Van Laak Shirt Kent 64, 41061
Mönchengladbach, Germany / Photography by the Dirk Schaper
Studio, Berlin, July 20th, 2007’, 2008
Courtesy of the artist and Galerie Gisela Capitain, Cologne

Eine weitere Forschungsreise in die Zerstörung des Mediums Fotografie und insbesondere in seine Darstellungs- und Klassifikationsstrukturen im Rahmen der Industriekultur ist in der Arbeit von Christopher Williams (geb. 1957, Los Angeles, US) zu finden. Er nimmt Reproduktionsprozesse als Ausgangspunkt und manipuliert die Konventionen der Werbung, der Oberflächlichkeit der Fläche und schließlich die Geschichte der Moderne. Tief politisch, historisch und manchmal persönlich sollen die Fotografien unsere Wahrnehmung auf subtile Weise verändern, indem sie die Kommunikationsmechanismen und ästhetischen Konventionen hinterfragen, die unser Verständnis der Realität beeinflussen.


Lucy Skaer
‘Screen from a Landscape (The Siege)’, 2009 
Courtesy of the artist and Tulips & Roses

Lucy Skaer (geb. 1975, Cambridge, UK) führt die Analyse von Darstellung und Klassifikation durch die Erkundung der Abstraktion fort, die der Hochkapitalismus erzeugt: die Spannung zwischen Objekten, ihr 'Tauschwert' oder das mit ihnen assoziierte Bild auf der einen Seite und ihre tatsächliche materielle Natur auf der anderen, entfernt aus ihrem Kontext und ihrer Bedeutung für das jeweilige Gegenüber. Ihre Filme, Installationen und Skulpturen präsentieren eine anziehende, gleichzeitig abstoßende Wirkung zwischen der Darstellung und der noch immer erkennbaren Bedeutung und körperlichen Form ihres ursprünglichen Gegenstands. 

Durch die Konfrontation dieser künstlerischen Positionen mit der Sammlung werden die Textilstücke zusammen mit ihren sozialen und politisch-historischen Bezügen die ästhetischen und formalen Qualitäten der Werke neu verhandeln. Die Analogie zwischen den Sammlungsstücken und den Kunstwerken wird weitere Gedanken über 'Abstraktion', die 'Oberfläche', 'Materialität' und 'Klassifikation' in Bezug auf sowohl Funktionalität wie Autonomie zur Folge haben.

Anlässlich der Ausstellung wird ein Essay des Künstlers und Autors Doug Ashford publiziert. 

KuratorInnen: Krist Gruijthuijsen, Direktor des Grazer Kunstvereins, und Maxine Kopsa, Direktorin des Kunstvereins in Amsterdam

Die Ausstellung 'Tradition' entstand in Zusammenarbeit des Marres, Centre for Contemporary Culture, Maastricht, dem Kunstverein, Amsterdam und dem Grazer Kunstverein, Graz, Österreich.


The Members Library* 

Eine Auswahl von Publikationen, zusammengestellt von dem Sammler, Forscher und Kurator Seth Siegelaub. 


A page from ‘Carl Andre, Robert Barry, Douglas Huebler,
Joseph Kosuth, Sol LeWitt, Robert Morris, Lawrence Weiner,’
also known as the ‘Xerox Book,’ edited by Seth Siegelaub,
Dec. 1968.

Seth Siegelaub spielte eine bahnbrechende Rolle in der Konzeptkunst-Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. Siegelaub organisierte 21 Ausstellungen, Publikationen und Projekte in Nordamerika und Europa zwischen Februar 1968 und Juli 1971 und arbeitete in vielen innovativen Formaten eng mit KünstlerInnen wie Carl Andre, Robert Barry, Douglas Huebler, Joseph Kosuth und Lawrence Weiner zusammen, bevor er sich 1972 weitgehend aus der Kunstwelt zurückzog. Als Kurator war er in physischen Räumen tätig; er kuratierte aber auch – und dies war von vorrangiger Bedeutung – in Form von Büchern, wobei er den Ausstellungskatalog selbst als Ausstellung neu definierte. Siegelaubs Ansatz spiegelte die Konzeptkunst-Bewegung, indem er wichtige Fragen über die Produktion, die Ausstellung, den Besitz, die Verbreitung und den Verkauf von Kunstwerken aufwarf. Begleitend zu einer Auswahl der Publikationen wird eine Sammlung von Büchern über Textilien, die Siegelaub ebenfalls produzierte, präsentiert.

*The Members Library wurde von der Künstlerin Céline Condorelli in Zusammenarbeit mit Harry Thaler als Dauerausstellung mit dem Titel „Things That Go Without Saying“ konstruiert und entworfen. Die für die The Members Library gebaute Struktur ist Teil einer Serie mit dem Titel „Additionals“. Diese verschiedenen, requisitenartigen Objekte sind scheinbar funktionale Strukturen und zwischen Möbeln und Architektur einzuordnen.


The Peacock
*Neue Ergänzungen

Eva Berendes*
Ohne Titel (Osaka), 2011

Eva Berendes’ Praxis greift auf die Geschichte und Sprache abstrakter Malerei im Zusammenhang mit Handwerkskunst und Kunstgewerbe zurück. Ihre Arbeiten beziehen sich häufig auf Dekorationsobjekte aus oft häuslichen Settings wie Vorhänge, Bildschirme, Überwürfe und Wandteppiche. Dominante Oberflächen werden durch einen subtilen Prozess von Verbergen und Aufdecken ins Blickfeld gerückt. Im Grazer Kunstverein präsentiert Berendes eine neu beauftragte Arbeit, die gleichzeitig einfach und komplex zu sein scheint, indem sie Widersprüche, Spannungen und ihre ultimative Gültigkeit zwischen Funktionalität, Dekoration und Autonomie unterstreicht. 


Josh Faught*
Five O’clock Shadow, 2009


Josh Faught
‘Five O’clock Shadow’, 2009 
Courtsey Lisa Cooley

Josh Faughts Arbeit schwelgt in der Panik der Vorstädte, die von einer hysterischen Selbsthilfe-Kultur, dem Zwang zur Dekoration und doku-dramatischer Tragödie bestimmt ist. Er verwendet Elemente von Textilien, Collage, Skulptur und Malerei und steckt drei Teile eines Raums ab, welcher in dieser Form die Geschichte von Textilien, eine sozial-politische Geschichte sowie auch eine persönliche Geschichte verhandelt. Diese mythologisierten Rekonfigurationen reagieren auf anhaltende Interessen rund um die Möglichkeiten einer Erzählform zwischen Objekt, Ornament, sexuellem Unterschied, Verlangen und dem Ort häuslicher Fehlfunktion.


Nina Beier
Tragedy, 2011

Ein persischer Teppich am Eingang des ersten Galerieraums wird zur Bühne einer Performance, in der verschiedene HundebesitzerInnen die Ausstellung zu unangekündigten Zeiten aufsuchen und ihre Tiere bitten, sich 'tot zu stellen'. Das Ergebnis ist eine absurd theatralische Geste, bei der einen Augenblick lang das Tier sowohl als Stillleben wie als „Torwächter“ zu den Galerien fungiert. 


Will Stuart
Über die Positionierung einer Reproduktion von Michelangelo Pistolettos Struttura per parlare in piedi (Struktur, um im Stehen zu reden), 1965–66 aus der Serie Minus-Objekte (Oggetti in meno), Nachbildung, 2012

An ausverhandelten Aufstellungsplätzen präsentieren Will Stuart (Will Holder und Stuart Bailey) eine Nachbildung der Struttura per parlare in piedi (Struktur, um im Stehen zu reden) (1965/1966), einer Arbeit von Michelangelo Pistoletto (geb. 1933 in Italien). Diese Arbeit ist Teil seiner Reihe Minus Objects (Oggetti in meno). 

Begleitet wird das Werk von einer öffentlichen Bekanntmachung, welche die ursprünglichen Intentionen hinter der Arbeit wie auch die Frage untersucht, wie spätere Verhandlungen mit den verschiedenen Beteiligten ihren doppeldeutigen Zweck als Möbelstück (zum Anlehnen für die Öffentlichkeit) und als Metapher (für Konversationspolitik) reflektieren. Das Objekt wird ständiges Thema der Auseinandersetzung bei der Beschäftigung mit Raum und Funktion innerhalb des diskursiven Programms sein. 

Michelangelo Pistolettos Werk wurde bereits 1988 im Grazer Kunstverein ausgestellt.


Die Ausstellung 'Tradition' wird großzügigerweise unterstützt von Mondriaan Fund und der Botschaft des Königreichs der Niederlande in Wien, Österreich.