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Frühling im Grazer Kunstverein
10. März – 9. Juni 2017

Eröffnung: Freitag 10. März, 18 Uhr

Neue und erweiterte Auftragsarbeiten:
Céline Condorelli
Chris Evans mit Morten Norbye Halvorsen
Fiona Hallinan

Ausgestellt:
Isabella Kohlhuber
Isabel Nolan
Adam Zagajewski

Reflektiert:
Ernst Fischer

Schon lange dient Kunst als dysfunktionaler Raum für Denkweisen: Die vertraute Identifikation von Objekten, die wir nach ihrem potenziellen Nutzen einordnen, wird darin durchkreuzt. Ein bekanntes Ding, das sich als das präsentiert, was es ist, kann sich in diesem Sinn als etwas ganz anderes herausstellen. Im gesamten Jahr 2017 wird sich der Grazer Kunstverein damit beschäftigen, Gedanken rund um die Themenkreise Werkzeuge und Magie, Nutzen und Notwendigkeit, Arbeit und Macht zu entwirren, wie sie auch der brillante und fast vergessene Ernst Fischer 1959 in seiner Publikation Von der Notwendigkeit der Kunst erforschte.

Auf dem Weg der künstlerischen Praxis erkunden wir Fischers Behauptung, dass Kunst nicht nur notwendig sei, damit die Menschheit die Welt erkennen und verändern könne, sondern dass ihre Notwendigkeit auch auf der ihr innewohnenden Magie beruhe.

Als Urheber des Slogans „Die Kunst muss nichts. Die Kunst darf alles” dient uns Fischer als geistige Leitfigur für die Entwicklung eines einjährigen Programms, das aus künstlerischen Neuaufträgen, sich entfaltenden Gesprächen und fortlaufenden Kollaborationen in der Forschung besteht, die alle der Frage der Notwendigkeit der Kunst nachgehen oder von ihr inspiriert sind. Das Programm, das sich weniger mit einer „Kunst im Dienst von...“ beschäftigt und stattdessen mehr von einer „Kunst als Potenzial für...“ überzeugt ist, reflektiert ein Engagement für Performativität durch Sprache, Bedeutung und Inszenierung. Jede Saison baut, entwickelt und mischt Arbeiten, Positionen und Praktiken in einer akkumulativen Geste, die die Rolle und Funktion eines Kunstvereins in Zeiten einer tiefen Unsicherheit darüber, was Kunst ist, tut oder kann, in Frage stellt. In diesem Sinn fragt auch der Dichter Adam Zagajewski: Warum bleibt die Kunst still, wenn sich schreckliche Dinge ereignen? Und schreckliche Dinge ereignen sich jeden Tag.



Céline Condorelli, Things That Go Without Saying, 2013, erweiterte Auftragsarbeit für Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Fotografie von Christine Winkler.


Céline Condorelli
Things That Go Without Saying, 2013–2020

2013 beauftragte der frühere Direktor des Grazer Kunstvereins, Krist Gruijthuijsen, Céline Condorelli, als Teil der Members Library eine neue Arbeit für den Grazer Kunstverein zu entwerfen. Das Ergebnis des Auftrags war Things That Go Without Saying, das in Zusammenarbeit mit Harry Thaler realisiert wurde. Die Struktur ist irgendwo zwischen einem Möbelstück und Architektur einzuordnen und inzwischen wirklich zum Herz des Gebäudes geworden. Derzeit beherbergt sie 200 Bücher; jedes davon wurde von unseren Mitgliedern zur Aufnahme in die Sammlung ausgewählt. Im Rahmen der Anpassung der Arbeit an unser neues künstlerisches Programm wird Things That Go Without Saying von Fink’s „Bibliothek der Geschmäcker“ gespiegelt und bekommt einen hellen neuen Farbton. Die Bibliothek (der Bücher) wird weiter wachsen, während die Struktur auch neue Auftragsarbeiten anderer KünstlerInnen aufnimmt oder unterstützt.

Beauftragt 2013 vom Grazer Kunstverein



Chris Evans mit Morten Norbye Halvorsen, Jingle, neue Auftragsarbeit für Frühling 2017. Außenansicht, Grazer Kunstverein. Fotografie von Christine Winkler.


Chris Evans
in Zusammenarbeit mit Morten Norbye Halvorsen
Jingle, 2017–2020

Chris Evans, in Zusammenarbeit mit Morten Norbye Halvorsen, hat für die sechs Eingangstüren des Grazer Kunstvereins eine Erkennungsmelodie komponiert, die kumulativ die Ankunft eines jeden Besuchers oder einer jeden Besucherin verkünden und verbreiten soll. Die Komposition beinhaltet eine „Shepard-Skala“ – eine Tonleiter, die den ZuhörerInnen die Illusion einer aufsteigenden oder absteigenden Tonleiter vermittelt, während sie letztendlich in ihrer Tonhöhe unverändert bleibt. Es beinhaltet auch Teile des Titels „Ain’t Gonna Feel“ der österreichischen Band „Supermax“, deren Beliebtheit in die 1970er Jahre zurückreicht.

Beauftragt 2017 vom Grazer Kunstverein



Fiona Hallinan, Fink’s, neue Auftragsarbeit für Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Fotografie von Christine Winkler.


Fiona Hallinan
Fink’s, 2017–2020

Bar gestaltet und gebaut vom Studio Magic und dem Brauchst Collective

Fink’s ist eine „Bibliothek der Geschmäcker“. Im Empfangsbereich des Kunstvereins wurde dieses fortlaufende, gemeinschaftliche Kunstwerk Fiona Hallinans im Gespräch mit vielen ProduzentInnen, HerstellerInnen und GärtnerInnen aus Graz und dem Grazer Umland entwickelt. Fink’s ist so gestaltet, dass es die Ästhetik eines Cafés nachbildet, funktioniert aber als Schwelle, als einladender Ort für Gespräche über Kunst und die Welt, als Archiv für Geschmäcker, Rezepte und Erinnerungen und als holistischer Raum zum Träumen und Pläneschmieden. Die Arbeit soll in erster Linie einen bedeutsamen Austausch mit und unter Mitgliedern des Grazer Kunstvereins fördern. Fink’s gibt es in zwei Stadien: aktiv und ruhend.

Beauftragt 2017 vom Grazer Kunstverein



Isabella Kohlhuber, Space for an Agreement, 2016, ausgestellt im Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Fotografie von Christine Winkler.


Isabella Kohlhuber
Space for an Agreement, 2016

Isabella Kohlhubers Praxis arbeitet mit Typografie als einer Form gedanklicher Prozesse. Ihr Werk Space for an Agreement bricht die konventionellen Lesarten eines Kunstwerks sowohl in ihrer formalen skulpturalen Präsenz wie auch in ihrer potenziellen Funktionalität. Diese Arbeit wird uns durch unser Jahresprogramm begleiten und die Notwendigkeit von Kunst im Zwischenraum zwischen Form und Funktion erkunden.

Courtesy der Künstlerin und der Galleria Doris Ghetta



Isabel Nolan, The Provisory Rug, adaptable for past, present and future. (For Marie Lieb), 2012, ausgestellt im Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Großzügige Leihgabe der Ernst Siegel Collection, Vermont, USA. Fotografie von Christine Winkler.


Isabel Nolan
The Provisory Rug, adaptable for past, present and future. (For Marie Lieb), 2012

Ursprünglich von den ungewöhnlichen Aktionen einer Frau in einem Raum in Heidelberg 1894 inspiriert, nimmt Isabel Nolans skulpturales Raumstück verschiedene Formen und Zueignungen an. Dieser „unkooperative“ Teppich begleitet uns in verschiedenen Konfigurationen durch das gesamte Programm 2017. Die erste Ausstellung trägt den Titel Spare Rug for Marie Lieb’s room, Heidelberg Psychiatric Hospital, 1894 (a.k.a. Circumstances shape an emptiness), 2012.

Courtesy der Kerlin Gallery und der Ernst Siegel Collection, Vermont, USA



Blick in das Studio, Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Fotografie von Christine Winkler.


Adam Zagajewski
We Know What Art Is, 2013

Adam Zagajewski ist ein Dichter, Romanautor, Übersetzer und Essayist. Er wurde zum ersten Mal als einer der führenden Dichter der 68er­-Generation oder der polnischen Bewegung „Neue Welle“ bekannt (Nowa fala); heute gehört er zu den bekanntesten zeitgenössischen Dichtern. Dieses Gedicht, das flüchtig auf den Zungenspitzen existiert, ist Teil unseres einjährigen Programms und erschien zum ersten Mal auf Englisch in der Ausgabe 136 der The Threepenny Review im Winter 2014.

Courtesy des Autors Adam Zagajewski und der Übersetzerin Renate Schmidgall



Georg Eisler, Ernst Fischer, 1972/73, ausgestellt im Frühling 2017, Grazer Kunstverein. Großzügige Leihgabe von Ernest Kaltenegger. Fotografie von Christine Winkler.


Ernst Fischer (geb. 1899, Komotau, Böhmen, gest. 1972, Deutschfeistritz, Österreich) war Journalist, Autor, Politiker und Verfasser des Buches „Von der Notwendigkeit der Kunst“. Er studierte Philosophie in Graz und war in den 1920er-Jahren in Wien ein anerkannter Dramatiker. Von ihm stammt der Slogan „Die Kunst muss nichts. Die Kunst darf alles“.* Mitte der 1930er-Jahre, nachdem er zu der Überzeugung gelangt war, dass nur der Kommunismus dem Aufstieg des Faschismus Einhalt gebieten konnte, ging Fischer nach Moskau, wo er eine lange und turbulente politische Karriere machte. Zu Fischers faszinierendsten Aspekten gehört seine Fähigkeit der Selbstreflexion, wie sie in dem Essay „Was war da mit mir geschehen?“ in seiner Autobiografie „Erinnerungen und Reflexionen“ (Erstveröffentlichung 1969) artikuliert wird. Sein kulturelles Erbe kann aus Ideen erschlossen werden, die er in „Von der Notwendigkeit der Kunst“ äußerte und die in einer Reihe von Lesegruppen, Vorträgen, Präsentationen und Diskussionen im gesamten Programmjahr des Grazer Kunstvereins erkundet werden. Zu diesem Zweck unternehmen wir neue Forschungszusammenarbeiten mit einer Reihe von Institutionen und Initiativen aus Graz, Wien und darüber hinaus.

Georg Eisler

Ernst Fischer, 1972/73

Diese großzügige Leihgabe von Ernest Kaltenegger ist bis 20. März 2017 im Grazer Kunstverein ausgestellt.

Der Grazer Kunstverein möchte sich herzlich bei Marina Fischer-Kowalski, Gabriel Hirnthaler von Prenning’s Garten, Eugen Gross, Heimo Halbrainer, Ernest Kaltenegger, dem Literaturarchiv in Wien und dem Institut für zeitgenössische Geschichte für ihre liebenswerte Unterstützung zu unserer Nachforschung und Vertiefung über Ernst Fischer bedanken.

*Rabinbach, Anson G., Passage to Politics: Ernst Fischer as Critic, Writer and Dramatist in the 1920’s, Modern Austrian Literature, Bd. 8, No. 3/4, 1975


Die Ausstellung der Werke von Isabel Nolan und Fiona Hallinan wird freundlicherweise von Culture Ireland unterstützt.