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24. September – 18. Dezember 2016

Längst definiert der dominante Westen die Weltwirtschaft nicht mehr und so haben sich auch die Vorstellungen von Bildung verändert. Da heute auch unter „Handel“ und „Wachstum“ etwas anderes verstanden wird, sind schon sehr junge Kinder mit neuen globalen Systemen konfrontiert, die weniger auf ein westliches Verständnis hin ausgerichtet sind. Als Reaktion auf das Leitmotiv des diesjährigen steirischen herbstes präsentiert der Grazer Kunstverein eine umfassende Einzelausstellung der britischen Künstlerin und Filmemacherin Beatrice Gibson (geb. 1978, GB), die in ihren neuesten Arbeiten die strukturellen Parallelen zwischen Pädagogik, Avantgarde-Musik und zeitgenössischer Wirtschaft erkundet. 

Gibsons Filme sind vielschichtige Collagen und stellen Verbindungen zwischen sozialen Arbeitsmodi und sehr unterschiedlichen Bezugspunkten her, von experimentellen Kompositionen eines Robert Ashley und Cornelius Cardew bis hin zu den modernistischen Schriften von William Gaddis und Gertrude Stein. Gibsons Ausstellung im Grazer Kunstverein präsentiert eine Zusammenschau ihrer Filme aus den letzten zehn Jahren. Es ist die erste ihrer Art, dabei zeigt die Künstlerin in The Members Library eine zusätzliche Auswahl von Künstlern und Filmemachern, die sie in ihrer Arbeit inspiriert haben, wie Mary Helena Clark, Ben Russell, Laida Lertxundi, Leslie Thornton, Mati Diop und Mark Leckey.

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Beatrice Gibson, „F for Fibonacci“, 2014
16 mm und 35 mm Film übertragen in HD, sound (surround)
Dauer 16:20 Minuten
Courtesy: Laura Bartlett Gallery und LUX, London


In ihrer Arbeit untersucht Beatrice Gibson eine große Bandbreite an Themen. Die meisten davon beschäftigen sich mit Produktionsmodi, die modernistischen musikalischen Kompositionen entnommen sind. Zu den primären Quellen der Künstlerin gehören Avantgarde-Komponisten der 1950er- und 1960er-Jahre wie Cornelius Cardew, John Cage und jene, die mit der Fluxus-Bewegung in Verbindung stehen. Gibsons Projekte sind immer partizipatorisch und integrieren ko-kreative und kollaborative Prozesse und Ideen. 

Ein Beispiel dafür ist Gibsons Arbeit The Tiger’s Mind (2012). Ausgehend von einem  Produktionsprozess, der von ihr selbst und dem Typografen und Designer Will Holder initiiert wurde und der auf einer Partitur von Cornelius Cardew basiert, wurde eine Gruppe von Akteuren eingeladen, je einen Charakter des Spiels zu übernehmen: Alex Waterman als der Baum, Jesse Ash als der Wind, John Tilbury als der Vertand, Celine Condorelli als der Tiger, Will Holder als Amy und Gibson als der Kreis. Der Film ist ein abstrakter Kriminalthriller. Vor dem Hintergrund einer brutalistischen Villa kämpfen sechs Akteure – Set, Musik, Geräusche, Spezialeffekte, Direktor und Geschichte – um die Kontrolle über den Film, der auf dem Bildschirm abläuft. Der Film erkundet die Beziehungen zwischen den Charakteren, während sich diese nach dem ersten Auftreten immer weiter entwickeln, auseinandersetzen, miteinander ringen und träumen.

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Beatrice Gibson, „Crippled Symmetries“, 2015
16 mm Film übertragen in HD, sound (surround)
Dauer: 26 Minuten
Courtesy: Laura Bartlett Gallery und LUX, London


Gibson vermengt in ihren Arbeiten sehr geschickt Fiktion und Theorie miteinander. Ihre jüngsten Filme F for Fibonacci (2014), Solo for Rich Man (2015, koproduziert vom Grazer Kunstverein und Preisträger des 17. Baloise Kunst-Preises an der Art Basel) und Crippled Symmetries (2015) erkunden den Begriff der Abstraktion in Musik und im Finanzleben und nehmen den episch modernistischen Roman JR (1975) des amerikanischen Autors William Gaddis zusammen mit der Arbeit des wenig bekannten britischen experimentellen Pädagogen und Komponisten John Paynter als Ausgangspunkt. In Gibsons ungewöhnlich anmutendem, prophetischem Ansatz zu JR (1975) erzählt die Künstlerin in Form einer Sozialsatire die Geschichte eines 11-jährigen kapitalistischen Jungen, der mit der unbeabsichtigten Hilfe seines Schul-Komponisten ein anonymes virtuelles Reich mithilfe der Telefonzelle der Schule erschafft. Gibson verbindet Gaddis’ fiktionale Welt mit der Arbeit des Komponisten John Paynter, der berühmt dafür ist, Komponisten wie Cornelius Cardew, John Cage und Karlheinz Stockhausen in Grundschulen eingeführt zu haben, um die Vorteile utopischer pädagogischer Bewegungen nach dem Krieg sowie einer kindzentrierten Ausbildung zu preisen. 

Beatrice Gibson lebt und arbeitet in London. Zu den neueren Solo-Screenings und Ausstellungen gehören: Collective Gallery, Edinburgh (2015), Statements, Art Basel (2015), Beatrice Gibson, Laura Bartlett Gallery (2014), Beatrice Gibson, Wilfried Lenz (2014), CAC Bretigny (2013), Index, The Swedish Contemporary Art Foundation, Stockholm (2012), The Showroom, London (2012), Künstlerhaus Stuttgart (2010), The Serpentine Gallery (Sackler Center) (2010). Gibsons Filme wurden an zahlreichen experimentellen Veranstaltungsorten für Film und Filmfestivals national und international gezeigt. Dazu zählen das The Rotterdam International Film Festival, Experimenta, The London Film Festival, Wavelengths, The Toronto Film Festival, Projections, The New York Film Festival, Light Industry, NY, Anthology Film Archives, NY und das LA Film Forum. Gibsons Arbeit war in der letzten Zeit außerdem in der Sammelausstellung Assembly, A Recent Survey of Artist’s Film and Video in Britain, 2008–2013 in der Tate Britain (2014) zu sehen. Gibson hat zwei Mal beim Rotterdam International Film Festival den Tiger Award für Kurzfilm gewonnen. 2013 stand sie auf der Shortlist für den 2013–2015 Max Mara Art Prize for Women und 2015 wurde ihr der 17. Baloise Kunst-Preis an der Art Basel zuerkannt. 

Beatrice Gibson ist die letzte Ausstellung unter der künstlerischen Leitung von Krist Gruijthuijsen und die letzte innerhalb des 30-jährigen Jubiläumsprogramms. Sie ist koproduziert mit steirischer herbst.


Ständig ausgestellt

Ian Wilson
1. Februar 2013 – 

Die Arbeit des Künstlers Ian Wilson (geb. 1940, Südafrika) weist eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Selbstverständnis des Kunstvereins auf: Er will die Beziehung zwischen dem Gesehenen – oder Diskutierten – und der BetrachterIn erkunden und die Dringlichkeit dieser Interaktionen aufzeigen.

Wilson beschäftigt sich seit 1968 eingehend mit gesprochener Sprache als Kunstform. Er beschrieb seine Arbeiten als „mündliche Kommunikation“ und später als „Diskussion“. Auf Wilsons eigenen Wunsch wurde seine Arbeit nie gefilmt oder anders festgehalten, was die vergängliche Natur des gesprochenen Wortes bewahrte. Wilsons frühe künstlerische Explorationen fanden in völlig monochromen Umgebungen statt. Er war absorbiert von Fragen, die sich mit der Wahrnehmung und dem Gemälde beschäftigen. Die Arbeiten sind stark von den Innovationen der Minimal Art der späten 1950er- und 1960er-Jahre beeinflusst, mit ihrer Destillation der Malerei auf ungegenständliche Selbstreflexivität und ihrer Reduktion der Skulptur auf das reine Gerüst der industriell gefertigten, geometrischen Form ohne bestimmbaren metaphorischen Inhalt. 

Wilsons letzte physische Objekte Circle on the Floor und Circle on the Wall entstanden zu Beginn des Jahres 1968. Bei der Produktion dieser Werke erkannte er, dass es zur Visualisierung eines Konzeptes nicht notwendig war, ein Objekt zu schaffen. 

Um seine Bedeutung für das Programm zu unterstreichen, hat der Grazer Kunstverein dem Werk des Künstlers eine fortlaufende Einzelausstellung gewidmet. Die Präsentation zeigt unterschiedliche Werke aus verschiedenen Jahren, genauso wie auch die Dauerausstellung des beauftragten und erworbenen Werkes Discussion. Diese Diskussion über das reine Bewusstsein des Absoluten fand im Grazer Kunstverein am 4. Mai 2013 zwischen dem Künstler, dem damaligen Team und früheren DirektorInnen des Grazer Kunstvereins seit 1986 statt. 

Ausgestellt 
„Discussion (Grazer Kunstverein)“, 2013
Schenkung von Stefan Stolitzka für die Sammlung des Grazer Kunstvereins.


The Peacock 
1. Februar 2013 – 

Der Grazer Kunstverein setzt seine Untersuchung über sein Interieur fort, indem er (neue) Möbelstücke sowie Design, angewandte und dekorative Künste präsentiert, die ihre eigene Funktionalität analysieren. The Peacock, wie diese Nonstop- Gruppenausstellung betitelt ist, wird von der Vorstellung eines Period Rooms inspiriert, der einen Augenblick in der Zeit definiert, wie auch vom Tier, dem Pfau, selbst (engl. „peacock“), der inneren und nach außen getragenen Stolz repräsentiert. Eine Gruppe von KünstlerInnen wird eingeladen, Arbeiten beizutragen, welche den genutzten Raum des Grazer Kunstvereins mit Designstücken und konzeptuellen Interventionen weiterentwickeln. (Teile dieser) Arbeiten werden noch einmal neu in Erscheinung treten und in kommenden Einzel-ausstellungen mit anderen in einen Dialog gestellt. Auf diese Weise bilden sie Rückgrat und Interieur des Kunstvereins.

Ausgestellt 
24. September – 18. Dezember 2016

Josh Faught
„Dale, Tony, Bob, and Henry“, 2015

Für den Eingang des Grazer Kunstvereins entwickelte Josh Faught (geb. 1979, Vereinigte Staaten) eine Bronzeplakette mit den Namen Dale, Tony, Boy, and Henry. Die Arbeit begann als Frage. Was kann es bedeuten, den häufig vorkommenden Eigennamen eines Amerikaners zu nennen? Wie könnte diese einfache Form der Aufforderung als ein Weg dienen, jemanden oder etwas sichtbar zu machen, und inwiefern existiert diese Arbeit als körperliches Surrogat? „Dale, Tony, Boy, and Henry“ existieren zusammen mit einer ganzen Reihe „benannter“ Arbeit und basieren auf dem Interesse des Künstlers an queerem Archivmaterial. In diesen Archiven finden sich immer wieder nebeneinander aufscheinende Männernamen, die gleichzeitig ein Mittel sind, Begehren in Form von „Tricklisten” zu erzeugen sowie eine Form des Gedenkens ähnlich dem NAMES-Projekt (AIDS Memorial Quilt) darstellen. Oder sie sollen einfach auf die einzigartige Weise, in der schwule Männer Intimität erzeugen und untereinander eine Verbindung herstellen, unterstützend wirken.

Courtesy des Künstlers, des Grazer Kunstvereins und der Galerie Lisa Cooley, New York


Liam Gillick
„Discussion Island Dialogue Platform“, 1997

Liam Gillick verwendet multiple Formen, um die neuen ideologischen Kontrollsysteme zu offenbaren, die zu Beginn der 1990er-Jahre zu Tage traten. Er entwickelte mehrere zentrale Narrative, die dann immer wieder den Anlass für ein Werkkorpus bilden: McNamara (ab 1992), Erasmus is Late & Ibuka! (ab 1995), Discussion Island/Big Conference Center (ab 1997) und Construction of One (ab 2005). Gillicks Arbeit holt die dysfunktionalen Aspekte eines modernistischen Erbes im Hinblick auf Abstraktion und Architektur ans Licht, das innerhalb eines globalisierten, neo-liberalen Konsens entsteht. Seine Arbeit erweitert sich zu einem strukturellen Neudenken der Ausstellung als Form.

Im Grazer Kunstverein präsentiert Gillick eine doppelt geschichtete Plattform, die ursprünglich für die Ausstellung ENTERPRISE am ICA in Boston gestaltet wurde. Die Arbeit markiert einen Raum, in dem es möglich sein kann, das Potenzial des Dialogs neu zu denken.

Courtesy Esther Schipper


Nicolás Paris
„Portable Garden“, 2009–2013

Von einem architektonischen Hintergrund stammend greift Nicolás Paris (geb. 1977, Kolumbien) häufig auf pädagogische Strategien zurück, um Elemente der Zusammenarbeit, des Dialogs und des Austausches in seine Arbeit zu integrieren. Um Ereignisse und Orte zu entwickeln, die den Austausch von Reflexionen ermutigen, basiert Paris’ Arbeit auf dem Konzept, zwischen dem Aufbau dialogischer Environments und dem oder der BetrachterIn, dem Ausstellungsraum und den Institutionen zu vermitteln. Paris’ Portable Garden besteht aus einem grünen Buntstift, auf dem der Werktitel eingraviert ist. Mit dem Stift verzeichnet das Personal des Kunstvereins die Besucheranzahl während der Ausstellung. 

Courtesy des Künstlers und der Galeria Luisa Strina, São Paulo


Dexter Sinister
„Tinctures“, 2010

Dexter Sinister ist ein Designer-Herausgeber-Verlegerduo, das 2006 von Stuart Bailey und David Reinfurt gegründet wurde. Ihre Aktivitäten, zu denen ein Workshop sowie ein Buchgeschäft in New York gehören, erkunden die Möglichkeiten des Publizierens sowohl in gedruckter wie digitaler Form – häufig in Beziehung zur Kunstproduktion. Viele von ihren Projekten sind ortsspezifisch und zeit-sensitiv und umfassen Publikationen und Events, die live in den Galerien über vorgegebene Zeitperioden produziert werden. So fertigten sie 2011 Teppichfliesen, die auf „Tinkturen“ basierten. 

Tinkturen sind jene Farben, die zur Verzierung eines Wappens in der Heraldik verwendet werden. Spezifische Designs mussten häufig allein mit schwarz-weißen Zeichnungen kommuniziert werden. In Ermangelung einer tatsächlichen Farbdarstellung wurde ein kodiertes System von Linienschraffuren entwickelt, was eine Tinktur auf einfache Weise von der anderen unterscheidbar machte. Jede Tinktur hat einen eigenen, entsprechenden Wappennamen. Die von Dexter Sinister produzierten Teppichfliesen werden in den Galerieräumen verteilt. 

Courtesy der Künstler


Will Stuart
„Über die Positionierung einer Reproduktion von Michelangelo Pistolettos Struttura per parlare in piedi (Struktur, um im Stehen zu reden), 1965–66 aus der Serie Oggetti in meno (Minus-Objekte), Nachbildung“, 2012

An ausverhandelten Positionen präsentieren Will Stuart (Will Holder und Stuart Bailey) eine Nachbildung von Struttura per parlare in piedi, einer Arbeit von Michelangelo Pistoletto (geb. 1933, Italien), die zu seiner Serie von „Minus-Objekten“ gehört.

Die Arbeit wird von einer Bekanntmachung begleitet, welche die ursprünglichen Intentionen hinter der Arbeit wie auch die Frage untersucht, wie folgende Verhandlungen mit den verschiedenen Beteiligten den zweideutigen Zweck der Arbeit als Möbelstück (an das sich die Öffentlichkeit anlehnen kann) und Metapher (für Konversationspolitiken) reflektieren. Das Objekt ist ständiges Thema der Auseinandersetzung bei der Beschäftigung mit Raum und Funktion innerhalb des diskursiven Programms. 

Michelangelo Pistolettos Werk wurde bereits 1988 im Grazer Kunstverein ausgestellt.

Courtesy die Künstler


Robert Wilhite
„Small Black Chair“, 1984

Die Methode von Robert Wilhite (geb. 1946, Vereinigte Staaten) ist gekennzeichnet von einem andauernden Kampf zwischen Zufall und Berechnung, dem Konzeptuellen und dem Dinglichen. Seine Arbeit weist die Bereitschaft auf, sich frei zwischen Medien und Disziplinen zu bewegen, von Skulptur über Performance bis zum Besteckdesign. In den späten 1970ern arbeitete Wilhite mit dem französischen Künstler Guy de Cointet an vier Theaterstücken zusammen, für die er Ausstattung und Bühnenbild herstellte. Der kleine schwarze Stuhl ist die Nachbildung eines der in den Stücken benutzten Requisiten und wird reproduziert, wenn es das Programm des Grazer Kunstvereins erforderlich macht.

Courtesy die Künstler